Aus Bergbaumüll einfach „Naturparks“ zaubern

■ Abfallhalden aus dem Kohleabbau im Ruhrgebiet sollen per Begrünung zu „Naherholungsgebieten“ aufgepäppelt werden Zwischen Autobahnen, auf bewachsenen Dämmen, kann man nun auf „Landschaftsbauwerken“ lustwandeln

Herten (taz) - Die Gegensätze hätten kaum größer sein oder enger beieinander liegen können: Hier ein riesiger, 40 Meter hoher Berg schwarzschmutzigen Mülls zusammen mit der Kohle herausgekratzt aus den Schächten des Ruhrbergbaus, dort die fürstliche Ruhe eines Wasserschlosses im Stil der Spätgotik. Hier, auf der Bergbau–Halde „Graf Moltke“ in Gladbeck, mitten im Revier, ein Panoramablick auf eine surreal wirkende Landschaft ohne Farbe und Menschen, im Dunst Umrisse von Kühltürmen, Schornsteinen, einem Kirchturm und daneben wieder schwarze Halden mit blaßgrünem Überzug - wie eine Kunstlandschaft wirkend. Dort, nur 10 km entfernt in Herten, sattgrüne Wiesen und leuchtendrot geklinkerte Häuser im Schloßpark, dazu Patienten einer psychiatrischen Landesklinik, die sich sogar unter erholungssuchende Stadtmenschen mischen dürfen. In Herten im nördlichen Ruhrgebiet startete das Landesoberbergamt in dieser Woche den Versuch, den Ruhrkohlenbergbau als landschaftsfreundliche Industrie zu präsentieren. Eine kleine Busreise für Journalisten sollte gute Vorsätze belegen, die Bergbauvermesser Palm so formulierte: „Die Halden sollen optisch reiz voll werden, wie vom Maler gestaltet.“ Seit nicht mehr Bergmänner und ihre Preßlufthämmer, sondern vollmechanische Betriebe die Kohleförderung bestimmen, wachsen die Halden im Ruhrgebiet stärker. Denn die Kohle und der Gesteinsmüll aus Sand– und Schiefersteinen wird erst über Tage getrennt. Mit jeder Tonne des schwarzen Goldes wird heute eine Tonne schwarzen „Bergematerials“ nach oben geschleppt. Dreiviertel davon wird der Bergbau durch das Abkippen auf die billigste Art wieder los, eben „auffe Halde“. Die so entstehenden schwarzen Hügel erreichen teilweise die Ausmaße einer mittleren Innenstadt. 150 Halden, neben Fördertürmen und Hochöfen einst Erkennungszeichen des Ruhrgebiets, türmte der Bergbau noch 1966 auf. Heute sind es 40. Seit sich auch die Revierbewohner den Dreck nicht mehr so einfach vor die Haustür kippen lassen und die Region um neue Firmen als Ausgleich für die Entlassungen bei Kohle und Stahl buhlen muß, seitdem gelten die schwarzen Hügel auch den Bergbaubehörden als Schandflecke auf der Visitenkarte. Die Halden sollen nun begrünt werden. Der Zuckerguß für den Bergbaumüll besteht aus 10 cm Mutterboden, der auf das nackte Gestein gekippt wird und auf dem Gras und Kies gesät werden. Kleine Ahorn–, Kirsch– und Lindenbäume werden direkt in die Steine eingepflanzt. „Die widerstandsfähigsten überleben und wachsen weiter,“ so Dr. Campino, dessen Firma für die Begrünung der Halden zuständig ist und der im sanften Predigerstil die grüne Message rüberkriegen will. Erste Erfolge dieses Konzepts soll die Fahrt zur Halde Schürenbach in Gelsenkirchen demonstrieren. Der Bus läßt die „Rio– Bar“ und ihre Fassaden–Plastikpalmen rechts liegen und hält unter einer Autobahnbrücke. Kleine Wege winden sich die Halde hinauf durch Rasenflächen und an kleinen Bäumen vorbei, bis auf Höhe der lärmenden Autobahn. Eine weiße Parkbank wurde hier offensichtlich extra für Taube oder Walkman–Träger aufgestellt. Mit viel Geld und einer speziellen Berieselungsanlage ist eine Art Damm begrünt worden. Von oben fällt der Blick dann auf die schmutzigschwarzen Haldenflächen. Dutzende LKWs laden hier Tag und Nacht den Zechenmüll ab. Die Journalistenfahrt gerät nun eher zum Beweis dafür, wieviel Umweltzerstörung Menschen nach mehr als einem Jahrhundert Industrialisierung zugemutet wurde. Herr Maltaner, bei der BergwerksAG für Forstfragen zuständig, und grünberockt wie ein Förster, schwört dennoch Stein und Bein, daß die Anwohner auf der Halde spazierengehen. „Die sind ja nicht viel Grün gewohnt, die führen ihren Hund aus, der auf der Halde endlich mal von der Leine gelassen werden kann.“ Der Grünrock hat die Kleingärtner von der anderen Seite der Autobahn im Verdacht: Er argwöhnt, daß sie die frischgesetzten Kiefern von der Halde lieber in ihrem Gärt chen sehen und in Nachtaktionen umpflanzen. 150 sind bereits verschwunden. Kleinere Probleme wirft die Haldenbegrünung also noch auf, obwohl der Wahnsinn einer Naherholungsfläche beiderseits der Autobahn im Ruhrgebiet längst herrschende Vernunft geworden ist. Selbst die 90 Bewohner der Siedlung Hoheward bei Herten, deren Häuschen von der größten Halde Europas begraben werden, sind mit ihren neuen Eigenheimen zufrieden. Und ein Newspeak– Name für die Halden mit dem grünen Überzug ist auch bereits gefunden. Zunächst sollen sie noch ganz bescheiden „Landschaftsbauwerke“ heißen und wenn dann irgendwann einmal nur noch die Alten wissen, daß der Boden unter dem Ahornwäldchen eigentlich kein „richtiger“ ist, dann wird man sie „Naturpark“ nennen. Jan Nüse