Bekennerbriefe gesucht

Mangelnde Fahndungserfolge nach den Attentätern des Bonner Ministerialdirektors Gerold von Braunmühl sollen jetzt offenbar mit medienwirksamen Hausdurchsuchungs– und Beschlagnahmeaktionen kompensiert werden. Am vergangenen Dienstagabend drangen ca. 50 teilweise uniformierte und zivile Beamte des Bundeskriminalamtes, des baden–württembergischen Landeskriminalamtes und der örtlichen Polizei mit gezogenen Waffen in die Geschäfts– und Wohnräume des Stuttgarter Entrümpelungs– Kollektivs Emmaus e.V. ein, durchsuchten alle vier Stockwerke des Gebäudes und beschlagnahmten zahlreiche Gegenstände. Geleitet wurde die Durchsuchung von Beamten der Karlsruher Bundesanwaltschaft. Begründung durch den Ermittlungs richter am Bundesgerichtshof, Gollwitzer: Auf dem zuständigen Stuttgarter Postamt soll ein an „Emmaus“ adressierter Bekennerbrief zum Mord an Braunmühl angehalten worden sein. Der Brief war am 11.10. in Bornheim bei Köln aufgegeben worden. Eine weitere Hausdurchsuchung fand zur selben Zeit im Münchener Infoladen statt. Festnahmen oder erkennungsdienstliche Behandlungen wurden nicht durchgeführt. „Emmaus“–Gruppen wie in Stuttgart gibt es in über 20 Ländern. Eine Lumpensammlergemeinschaft für Arme, Obdachlose, Haftentlassene und verzweifelte Menschen nannte sie ihr Gründer Abbe Pierre aus Paris. Emmaus–Stuttgart hat seine Wohn– und Geschäftsräume in der Stuttgarter Innenstadt, befaßt sich vor allem mit Entrümpelungen, Wohnungsauflösungen und dem Wiederverkauf von Haushaltsgegenständen, Kleidern und aufgearbeiteten Möbeln. Darüberhinaus befasst sich das Wohn– und Arbeitskollektiv mit der Betreuung von sozialen und politischen Strafgefangenen, und der Organisation von Hilfssendungen in lateinamerikanische Länder. Mitglied im Vorstand des Vereins ist der ehemalige Rechtsanwalt Armin Newerla, der nach dem Tod der „Stammheimer Gefangenen“ wegen Unterstützung der RAF zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Weshalb die Durchsuchungs– und Beschlagnahmeaktion am vergangenen Dienstag gerade bei ihnen stattfand, können sich die Mitglieder des Emmaus–Kollektivs nicht erklären, das Haus sei aber schon seit Wochen observiert, und die gesamte Post schon seit längerem durch das LKA kontrolliert worden. Die jetzige Durchsuchung, so vermuten die acht Emmaus–Mitglieder, sei eine spektakuläre polizeiliche Maßnahme aus Mangel an politischen Erfolgen bei der Terrorbekämpfung. Weshalb gerade sie Adressat der Erklärung seien, konnte man sich bei gestern ebensowenig erklären. Mit der RAF, so ein Sprecher des Kollektivs, habe man nichts zu tun. Durch die Veröffentlichung der Haussuchungsaktion befürchten die Mitglieder des Emmaus–Kollektivs eine massive Geschäftsschädigung, erste Anzeichen dafür soll es bereits geben. Der Pressesprecher der Bundesanwaltschaft meinte gestern, man wolle jetzt die Umschläge der Bekennerbriefe nach Finger– und Speichelspuren untersuchen. Das Tatfahrzeug, soviel scheint bekannt, soll am 22.9. in Leverkusen gestohlen worden sein. Verstärkte Fahndungsmaßnahmen sollen neben Bonn und Köln jetzt auch in Leverkusen anlaufen. Hinweise, wonach die gesuchten RAF–Mitglieder Inge Vieth und Ingrid Sternebeck an dem Attentat auf von Braunmühl beteiligt gewesen sein sollen, wurden gestern von der Bundesanwaltschaft dementiert. Konkrete Hinweise habe man noch nicht, und selbst wenn man sie habe, wolle man sie vorläufig nicht veröffentlichen. Dietrich Willier