Große Fahndungs–Koalition in Bonn

■ CDU/CSU, FDP und SPD weitgehend einig über weitere Polizeiaufrüstung und neues Fahndungskonzept

Parallel zur Trauerfeier für den ermordeten Spitzendiplomaten Gerold von Braunmühl tagten am Mittwoch in Bonn sowohl der Innenausschuß als auch das Kabinett, um über die Konsequenzen des Attentats zu beraten. Abgehakt s zentraler Streitpunkt bei den neuen Sicherheitsgesetzen - verbessert und das Fernsehen stärker in die Fahndung miteinbezogen werden. Der größte Clou wäre die Einführung eines Kronzeugen - eine uralte Idee, für deren Durchsetzung jetzt offenbar gute Chancen bestehen.

Nach dem Anschlag auf den Ministerialdirektor Gerold von Braunmühl wird in Bonn eine Kommission nach der anderen eingesetzt, um möglichst schnell und möglichst umfassend gesetzliche Verschärfungen ausbaldowern und durchsetzen zu können: Nachdem erst die Sicherheitsbeauftragten der Ministerien zusammentraten, um eine Verbesserung des Personenschutzes zu diskutieren, anschließend eine Staatssekretärskommission unter Vorsitz von Kanzleramtschef Schäuble die Arbeit aufnahm, hat sich gestern eine Kommission der gesamten Koalition gebildet, in der die parlamentarischen Geschäftsführer der Regierungsparteien, mehrere Staatssekretäre und die Vorsitzenden der innenpolitischen Arbeitskreise von CDU/CSU und FDP vertreten sind. Kommt der Kronzeuge? Zusätzlich hat die CDU/CSU eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Miltner ins Leben gerufen, die allerdings ihre Arbeit noch nicht aufgenommen hat: Ihr Ziel ist es, mögliche gesetzliche Verschärfungen zu diskutieren und über ein neues Fahndungskonzept zu reden. Mitglied dieser Arbeitsgruppe ist auch Hermann Fellner, dessen Vorschlag, eine Kronzeugenregelung einzuführen (die taz berichtete), um eine bessere Infiltration des sogenannten harten Kerns der RAF zu erreichen, die Bonner Gemüter derzeit am meisten beschäftigt. Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist vor allem, daß Wolfgang Mischnick für die FDP „große Aufgeschlossenheit“ gegenüber diesem Vorschlag geäußert hat. Der Pressesprecher der FDP–Fraktion Ehrlich hielt es im Gespräch mit der taz sogar für möglich, daß eine Kronzeugenregelung noch in dieser Legislaturperiode gesetzlich festgeklopft werden könnte. „Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die rechtstheoretischen Probleme gelöst werden können“: daß also die Kronzeugenregelung nur für die RAF und andere militante Organisationen gilt, nicht aber für die allgemeine Schwerkriminalität. Mischnick, der mit seiner Fraktion in früheren Jahren ein strikter Gegner der Kronzeugenregelung war, begründet seinen jetzigen Vorstoß mit den „überaus positiven Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht worden sind“. Auf diese guten Erfahrungen verweist auch der stellvertretende CDU–Fraktionsvorsitzende Olderog. Zwar habe der Fellner– Vorschlag, eine Kronzeugenregelung einzuführen, noch nicht die Fraktionsgremien beschäftigt, aber er persönlich meine, das müsse „sehr ernsthaft“ in Erwägung gezogen werden. Das Maß der Herausforderung bestimme auch das Maß der Gegenwehr. Und daß das Maß der Herausforderung sich durch den Mord an Gerold von Braunmühl erheblich erhöht habe, müßte auch den Leuten offensichtlich werden, die sich nicht hauptsächlich mit „dem Terrorismus“ beschäftigten. Für diskutabel hält auch der SPD–Abgeordnete und Vorsitzende des Innenausschusses Axel Wernitz die Kronzeugenregelung: Allerdings halte er es für falsch, sie jetzt „übers Knie zu brechen“. Zwar sei die SPD früher auch entschieden gegen so ein Gesetz gewesen, aber angesichts der neuen Anschlagserie halte er es für möglich und notwendig, die bestehenden gesetzlichen Regelungen „zu überprüfen“ - das sei allerdings noch nicht als Zustimmung zu verstehen und im übrigen seine private Meinung. Die Fraktion hätte sich noch keine Meinung bilden können. „Aber wir müssen sehen, daß es sehr schwer fällt, im Kernbereich mit V–Leuten und verdeckten Ermittlern Erfolge zu erzielen“. Einig über neue Stellen Grundsätzlich schätzt er die regelmäßig nach neuen Anschlägen vorgetragene Forderung nach Verschärfung der Gesetze aber als „Geste der Hilflosigkeit“ ein. In dieser Auseinandersetzung sieht Wernitz auch die bemerkenswerteste Differenz in der derzeitigen sicherheitspolitischen Auseinandersetzung zwischen Regierungsparteien und SPD: einig sei man sich, wo es um Aufstockung im personellen Bereich gehe, um bessere Ausrüstung für die Polizei, um einen stärkeren Personenschutz und mehr Observanten. Weder bei den 1.000 neuen Stellen, die nach den Anti–AKW– Demonstrationen 1986 eingerichtet werden sollen, noch bei den 60 neuen BKA–Stellen für eine Verstärkung der Fahndung und den 30 neuen Stellen im Bereich Personenschutz, die auf der Innenausschußsitzung diskutiert würden, habe es Probleme mit der SPD gegeben. Auch das neue Fahndungskonzept, das im August zwischen Bund und Ländern beschlossen worden und das jetzt auch Gegenstand der Diskussion im Innenausschuß sei, werde von der SPD mitgetragen. Ein Ausspielen der Fahndungserfordernisse gegen den Datenschutz, wie es derzeit Innenminister Zimmermann versuche, sei aber auf gar keinen Fall hinzunehmen. Gegen Datenschutz Zimmermann hatte in einem Interview mit der „Welt“ den Anschlag auf Gerold von Braunmühl zum Anlaß genommen, auch die aufgrund einer Intervention der FDP in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedeten Sicherheitsgesetze wieder in die Diskussion zu bringen: Der Datenschutz, hatte Zimmermann behauptet, beeinträchtige die Fahndung auch nach der RAF, weil das sogenannte RAF–Umfeld, der „logistische Bereich“ der Polizei nicht genug bekannt sei. Hier müßte ein besserer Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei stattfinden können. Eine verstärkte Rasterfahndung, die auch diesen Bereich einbezieht, hatte auch Hermann Fellner von der CSU gefordert. „Erkenntnisgewinnung über Terrorismus im präventiven Bereich“ nennt er diesen Ansatz, der seiner Meinung nach auch Kern des neuen Fahndungskonzepts der Polizei sein müsse. Was an diesem Konzept außer dem Namen und der verstärkten Einbeziehung der gesamten mmilitanten Linken neu sein soll, wollte er der taz aber nicht mitteilen: „Es ist doch klar, daß wir sowas nicht in der Öffentlichkeit bekannt machen können. Dann könnten sich die Terroristen ja drauf einstellen.“ Oliver Tolmein