Eine Gewerkschaft zeigt ihr Alltagsgesicht

■ Keine Aufbruchstimmung beim gewerkschaftstag der IG Druck und Papier an der Schwelle zur Mediengewerkschaft / „Hier fehlt Leben, Kolleginnen und Kollegen“ / Flucht in Traditionsthemen / Flexibilisierung abgelehnt / NH–Thema nicht „selbstkritisch“ diskutiert

Aus Essen Martin Kempe

„Hier fehlt Leben, Kolleginnen und Kollegen. Hier fehlt die kritische Auseinandersetzung vor Ort mit all dem, was wir beabsichtigen und was wir uns vorgenommen haben.“ Franz Kersjes, der NRW– Landesvorsitzende der Industriegewerkschaft Druck und Papier, sprach am deutlichsten aus, was sich als Eindruck dem Beobachter des 14. Ordentlichen Gewerkschaftstags der Druckergewerkschaft aufdrängt: Die Aufbruchstimmung der Druckergewerk schaft in Richtung auf die für 1988 geplante Gründung der Mediengewerkschaft ist einer eher zögerlichen, selbstgenügsamen Lustlosigkeit gewichen - an der Basis noch mehr als in der Führung. In Essen präsentierte die Drupa ihr Alltagsgesicht. Dabei wird der Essener Kongreß für die alte, traditionsbewußte Gewerkschaft der Druckarbeiter ihr letzter Gewerkschaftstag in alter Formation sein. Danach wird es die IG Druck als selbständige Gewerkschaft im DGB nicht mehr geben, sondern nur noch die „Industriegewerkschaft Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst“. Das Gewicht der Künstler und Intellektuellen wird sich in der neuen Organisation stärker bemerkbar machen als bisher. Die IG Medien, die als Dachverband über den noch selbständigen Organisationen von Drupa und Gewerkschaft Kunst bereits existiert, wurde bisher von der Basis noch nicht mit Leben erfüllt. Der Kongreß im Saalbau in Essen hat sich demonstrativ seinen traditionellen Themen zugewandt - der Tarifpolitik, dem möglicherweise für 1987 anstehenden neuerlichen Arbeitskampf um die 35–Stunden–Woche und - mit einigem Abstand - dem quälenden Neue–Heimat–Trauma. Daß 1987 wieder ein Arbeitskampf in Sachen Wochenarbeitszeitverkürzung ansteht, scheint in der Drupa kaum noch infrage gestellt zu werden. Allerdings, so der stellvertretende Vorsitzende und verantwortliche Drupa–Tarifpolitiker Detlef Hensche vor Journalisten, ist man abhängig von der größeren „Brudergewerkschaft“, der IG Metall. Wenn diese auf „friedlichem Wege“ zu einer Einigung mit den Arbeitgebern komme - und manches deute auf solche Bestrebungen innerhalb der IGM hin - dann werde auch die kleine Druckergewerkschaft kaum für sich allein kämpfen können. Flexibilisierung, so Hensche vor dem Gewerkschaftstag, wird von der Drupa prinzipiell abgelehnt. Ziel ist der 7–, perspektivisch der 6–Stunden–Tag. In der Praxis aber hat ein Flexibilisierungszugeständnis der Drupa nach dem letzten Arbeitskampf in der Organisation viel böses Blut gemacht: eine vom Stuttgarter Vorstand abgesegnete Betriebsvereinbarung bei Gruner & Jahr über die Ausweitung der Produktionszeit auf sechs Tage. Ursprünglich zugestanden für Tageszeitungsdruckereien, versuchen die Unternehmer ihre immer gigantischer werdenden Produktionsanlagen auch dann möglichst durchgehend auszulasten, wenn dies vom Produkt her nicht zwingend notwendig ist. Hensche betrachtet die Gruner & Jahr–Regelung als isolierten „Ausreißer“. Eine „arbeitnehmerorientierte Flexibilisierung“, wie sie in der IG Metall in den letzten Monaten vereinzelt angedacht worden ist, hält man in der Druckbranche mit ihrem hohen Anteil an Zwei– oder gar Drei–Schicht–Betrieben nicht für möglich. Die Drupa ist ganz auf Abwehr eingestellt. „Mafiaähnliches Verhalten“ warf der Delegierte Dieter Born aus Hamburg den Managern der Gemeinwirtschaft lautstark vor und erntete dafür den Beifall des Plenums. Aber dennoch gab es auf dem Kongreß nicht die überfällige, von einigen Rednern geforderte selbstkritische Diskussion. Die Basis in den Betrieben sieht sich eher als Opfer von Machenschaften, ohne Möglichkeit zu eigenem Handeln: Welten liegen zwischen den luftigen Höhen der BGAG–Chefetage im Frankfurter Hochhaus der Bank für Gemeinwirtschaft und dem schlichten Betriebsratsbüro irgendeines mittelständischen Druckereibetriebes. Die Basis der IG Druck und Papier will - auch wenn es so nicht in die Beschlußlage der Gewerkschaft eingegangen ist - mit der Gemeinwirtschaft nichts mehr zu tun haben. Nicht nur die Neue Heimat, alles soll „verkauft werden - mit allen Konsequenzen“. Vielleicht haben die deprimierenden Erfahrungen mit der Neuen Heimat ihren Anteil daran, vielleicht auch die Politik des seit drei Jahren amtierenden und jetzt wiedergewählten Vorsitzenden Erwin Ferlemann: die IG Druck und Papier hat in Essen weniger als vor drei Jahren auf ihrem Nürnberger Gewerkschaftstag ihr ideologisches, klassenkämpferisches Profil herausgekehrt. Fehlende „Orientierungen für die Zukunft“ bemängelten einige Delegierte, während andere darin auch eine Chance zu offener Diskussion in der zukünftigen Mediengewerkschaft sehen.