Dem „Gottesstaat“ fehlen die Massen

■ Irans Bevölkerung wehrt sich gegen die Islamisierung des Alltags / Aus Teheran Robert Sylvester

Seit nunmehr gut sechs Jahren versucht die Geistlichkeit im Iran ein Gesellschaftsmodell durchzusetzen, das ihren Vorstellungen von einem islamischen Staat entspricht. Nach der anfänglichen Phase der Begeisterung für die Revolution zeichnet sich allmählich ab, daß dieses Modell scheitern wird. Nicht, weil eine politisch starke Opposition die Macht der Ayatollahs bedroht, sondern weil die Mehrheit der Bevölkerung trotz drakonischer Strafen das Modell nicht akzeptiert. Der Alltag in Teheran ist geprgt von Versuchen, die herrschende Moral zu umgehen.

„Haben Sie Interesse an den letzten Hits von Mikel Jackson und unseren eigenen Sängern in den USA?“ Das Angebot erfolgt möglichst unauffällig und im Flüsterton, zum Vertragsabschluß reicht ein Kopfnicken. Kurz darauf taucht ein Freund des Verkäufers auf, der wiederum im Vorbeigehen eine Cassette herüberreicht und seine 30 DM kassiert. Die Szene ereignete sich in Teherans Einkaufszentrum, der Vali–Asr–Straße und ist charakteristisch für den Schwarzmarkt mit dekadenter, durch die Islamische Revolution geächteter westlicher Musik. Doch obwohl das Risiko nicht unerheblich ist, das Geschäft läuft und kann als ein Indiz dafür betrachtet werden, daß die Islamisierung der iranischen Kultur keine rechte Massenbasis findet. Im Gegenteil, die herrschende Praxis, welcher die revolutionierten Menschen unterworfen werden, ist jenseits aller Vorstellungen der Leute, die von Meinungsfreiheit und Privatheit in einem Iran nach dem Schah geträumt hatten. „Westliche Korruption“ ist die Hauptfront im Kultur–Kampf des Regimes. Musik, Kunst und sogar Bekleidung sind die Angriffsziele in dieser Schlacht. Während einer Parlamentsdebatte über ein Gesetz gegen Produzenten, Importeure und Konsumenten westlicher Mode und Bekleidung sagte ein Parlamentsmitglied: „Dieser Kaninchenkopf ist ein Symbol für „Peli Booy“ (Play Boy) und ist eine Verschwörung gegen unsere Jugend, die davon abgebracht werden soll, für die Revolution einzutreten. Das Zeichen wird von Agenten ins Land geschmuggelt, bestimmten Bekleidungsherstellern überlassen und dann erscheint es auf den Kleidern unserer gläubigen Frauen, die nicht die wirkliche Absicht dieses Symbols verstehen...“. Eine Revolution braucht Musik „Jede Melodie, die den Hörer in seinen Gefühlen berührt, ist im Islam verboten“, schrieb Khomeini in Tahrir–ol–Vasileh, seinem Manifest zu verschiedenen Aspekten der islamischen Ideologie und des moslemischen Glaubens. Aber die Grenzen dieses Musikverbots konnten niemals verdeutlicht werden. Das Ergebnis ist eine komische Mischung von Werken Mozarts und Tschaikowskys neben lateinamerikanischen Revolutionshymnen, die im staatlichen Radio und Fernsehen gespielt werden. Der ehemalige Chef des Rundfunks, der später wegen Umsturzverdacht hingerichtete Sadeq Ghotb–Sadeh, hatte eine Auswahl aus 52 Melodien der klassischen europäischen Musik vorgeschlagen, die von „Stimme der islamischen Republik Iran“ gesendet wurden. Konkrete Gründe für gerade diese Zusammenstellung gab es nie. Ironischerweise kann es gar keine Alternative geben, denn in der Geschichte des Islam gibt es keinen islamischen Musiker! Zur Führung einer Revolution aber scheint Musik unverzichtbar. Die Massen müssen agitiert werden und das gleiche trifft wohl zu für die Soldaten an den Fronten des Krieges mit dem Irak. Während einer militärischen Operation an der Front sendet Radio Teheran je denfalls regelmäßig amerikanische Militärmärsche. Nach der Revolution floh eine große Zahl iranischer Sänger, Musiker und Künstler, die jetzt in Europa und den USA leben. Deren Radio und Fernseh–Stationen in Kalifornien und London produzieren Lieder, Theaterstücke und Videos, die in den Iran geschmuggelt und dort im Untergrund vervielfältigt werden. Das Regime hat allein in Teheran 1.200 Video– Geschäfte schließen lassen. Für 1.000 DM kann man durch gewisse Kanäle eine Filmkopie mieten, auf der eine iranische Schauspielertruppe in den USA eine Komödie über Khomeini inszeniert hat; lebenslängliche Haft riskiert man, wenn diese Kopie entdeckt wird. Trotzdem, das Geschäft läuft ohne Unterbrechung. Passiver Widerstand prägt den Alltag Angesichts des passiven Widerstands der Menschen greift das Regime darauf zurück, ständige Kontrollstellen in den Ausfallstraßen der Städte einzurichten. Aber bis zu den untersten Schichten hat sich die iranische Gesellschaft, trotz der Repression, Freiräume geschaffen, um sich gegenüber dem Regime verhalten zu können. So werden Musikveranstaltungen jetzt in Privatwohnungen abgehalten, wobei die Bewohner und Besucher schwere Gefängnisstrafen riskieren. Bei solchen Treffen verhaftete Sänger müssen damit rechnen, ins Exil im Süden des Landes verbannt zu werden. Gegenwärtig sind mindestens acht Sänger nach Bandar–abbas verbannt, in jene süd–östliche Hafen stadt, wo im August 50 Hitze herrschen. Auf der Straße häufen sich die Witze über die verschiedenen Figuren des Staatsapparates. Hauptzielscheibe dabei ist der designierte Khomeini–Nachfolger Ayatolla Montazeri, der „Kronprinz im Exil“, wie er im Volksmund heißt. Die meisten Witze beziehen sich auf seine Dummheit: Als der Kronprinz einmal die Öl–Felder im Süden besuchte, sagte er: „Seht, der Shah! Er hat nie an die Menschen gedacht. Er hat so viele Öl–Quellen gebohrt, aber keine einzige Benzin–Quelle!“ Die Zerstörung der sozialen, kulturellen und politischen Werte des Volkes als das Hauptziel des Regimes hat bisher nur die gegenteilige Wirkung gezeigt. So wird zum Beispiel das Alkoholverbot in vielfältiger Weise umgangen. Traditionell trinken Iraner Wein, aber zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde vom nördlichen Nachbarn, Rußland, der Wodka eingeführt. Als nach der Revolution die Getränkefabriken ge schlossen wurden, übernahmen die Armenier, denen die Alkoholherstellung für den Eigenbedarf im Haus erlaubt ist, die Aufgabe, mit ihrem Überschuß den Schwarzen Markt zu füllen. Aber auch Muslime versuchen sich an der Herstellung von Wodka. Ein Kilo Rosinen, im Dampfdrucktopf gekocht und primitiv destilliert, ergeben eine Flasche Wodka. Oft genug enden solche Versuche mit dem Tod oder Erblindung durch Methyl, weil die Technik unbekannt war. Das Propaganda–Cliche von der „Import–Unabhängigkeit in Technik und Landwirtschaft“ wird von den Leuten ironisch wieder aufgenommen: Die einzige „Errungenschaft der Revolution sei die Import–Unabhängigkeit bei Wodka“. Einfach „alles verbieten“ Die Leute sind an den Strategien gegen die Feinde des Regimes nicht interessiert. Trotz der wütenden Propaganda bleiben die USA ein Modell für eine hochtechnisierte, fortschrittliche und komfortable Gesellschaft, wo kein Großer Bruder die Menschen überwacht. „Wenn sie sagen, Amerika ist schlecht, sollten sie nicht vergessen, daß, wenn es hier keine amerikanischen Jagdbomber gäbe, jetzt die Iraker in Teheran säßen,“ meint ein Revolutionsfrustrierter, der auf seinen Reisepaß wartet, um zu seinem Bruder in die USA zu fahren. Wo immer das Regime seine Hand im Spiel hat, bleiben die Leute fern. Selbst während des heiligen Moharam–Monats, in dem der Tod des Shia–Führers Imam Hossein betrauert wird, ziehen es die Leute vor, die Trauerfeierlichkeiten in der Nachbarschaft abzuhalten, anstatt in die großen Moscheen zu gehen, wo ein von der Regierung eingesetzter Mullah über die Ähnlichkeit zwischen Imam Hossein und Imam Khomeini predigt. Präsident Khamanei sagte vor kurzem: „Die meisten privat gehaltenen religiösen Zeremonien sind höchst verdächtig. Die Regierung sollte sie verbieten.“