Mit Afrikas eigener Stimme

■ Wole Soyinka aus Nigeria ist der erste Literaturnobelpreisträger des Schwarzen Kontinents

Nur sechshundert Exemplare hatte der Buchhandel der Bundesrepublik, West–Berlins, Österreichs und der Schweiz vom neuen Buch Wole Soyinkas vorbestellt. Dabei ist der autobiographische Band „Ake“ die einzige literarische Arbeit, die von Soyinka zur Zeit in unserem Buchhandel zu haben ist. Die vor wenigen Jahren erschienenen Romane sind heute mit etwas Glück höchstens noch im Modernen Antiquariat zu finden. Klaus Kreimeier skizziert Soyinkas literarische und politische Stellung. Von Soyinka druckenwir einige wenige Auszüge aus einem umfangreichen Essay zur Negritude ab.

Soyinka, brillant, schillernd, kompliziert, elitär und radikal. Ein unberechenbarer Feuerkopf, überbeschäftigt, ungeduldig, widerborstig, im Gespräch von bestürzender Eloquenz und liebenswürdiger Glätte. Playboy des Jetset und Schwerarbeiter, wenn es erforderlich ist. Immer unterwegs zwischen Ife/Nigeria, wo er als Professor für dramatische Künste lehrt, London, New York und Berlin. In Afrika mit einem Bein im Gefängnis. Ohne Zweifel ist es die „brennende Leidenschaft“ für die Freiheit, die auch Soyinkas literarische Virtuosität inspiriert, seine künstlerische Imaginationskraft stets von neuem anstachelt und ihn zu einem Formenreichtum befähigt hat, der in der modernen Literatur kaum eine Parallele hat. Die „große Form“ ist dem Autor ebenso vertraut wie die Satire, der Essay, die Parodie, das lyrische Gedicht, die literarische Cartoon–Kunst, das Couplet, die Kurzgeschichte und die funkelnde Polemik - er hat alle diese Waffen, gegen mannigfache Bedrängnisse durch Bürokratie und Zensur, unter Nigerias zivilen und militärischen Tyrannen erprobt und geschärft, und er hat sie auch gegen die Despoten der Nachbarländer sprechen lassen: gegen Kwame Nkrumah und Kamuzu Banda Hastings, gegen Idi Amin und Jean–Bedel Bokassa. Die Barbarei der Gegenwart Biafra und der nigerianische Bürgerkrieg lieferten den Rohstoff für zahlreiche seiner Werke, darunter auch für Soyinkas zweiten, 1973 erschienenen Roman Season of Anomy. Die zunächst einfach erscheinende Handlungsstruktur, verankert in der Barbarei und im Inferno der Gegenwart, öffnet sich im Laufe der Erzählung immer mehr dem visionären Ausblick auf eine fundamentale Alternative zum bisher Mißlungenen. Die politisch–moralische Grundkonstellation ist von großer Eindeutigkeit: auf der einen Seite das „Kartell“, ein sinistres Machtgefüge aus Regierung, Armee, schwarzer Bourgeoisie und neokolonialistischem Kapital - auf der anderen das Dorf Aiyero, gleichermaßen Hort einer geretteten, vorkapitalistischen, „afrikanischen“ Sozietät wie Keimzelle einer bewußt gestalteten Utopie aus kommunistischem Geist. Zwischen den Fronten bewegt sich der Intellektuelle Ofeyi, der für das „Kartell“ in großem Maßstab eine Kakao–Werbekampagne organisiert, insgeheim aber die Fäden für das „Modell Aiyero“, also für die sozialrevolutionäre Erneuerung, für den Sieg der Moral über die Macht, für die Idee des neuen Menschen und einer auf dem Prinzip der Gleichheit aufgebauten Humanität knüpft. Soyinka: „Aiyero war solch eine geschlossene Gemeinschaft, bis jemand wie Ofeyi kam und sagte: Dieses Modell will ich benutzen; ich will sehen, was sich damit anfangen läßt. Die Frage lautet: Ist ein solches Experiment prinzipiell zum Scheitern verurteilt, weil es Chaos und Verwüstung heraufbeschworen hat? Ich denke, nein.“ Emanzipation von Europa Mit beißendem Spott distanziert sich Soyinka von jenen afrikanischen Intellektuellen, die über pauschale Verurteilungen des „weißen Mannes“ und pathetische Anklagen gegen den Neokolonialismus nicht hinausgelangt sind. Soyinkas Romane und Theaterstücke sind mitten in der afrikanischen Gesellschaft von heute mit ihren sich herauskristallisierenden Klassenstrukturen angesiedelt und haben neue Feinde ins Visier genommen. Soyinka und sein Werk verkörpern ein Stück echter Emanzipation von Europa. Dies gilt auch für Soyinkas Auseinandersetzung mit den Revolutionstheorien Europas und Nordamerikas: Er kennt sie - aber er traut ihnen nicht. „Wir dürfen auf keinen Fall das Bild einer Revolution, die von selbst marschiert, vorgaukeln; jene schöne Utopie nach dem Schema: Wenn du nur der Reihe nach die richtigen, theoretisch vorgezeichneten Schritte machst, wirst du es schon schaffen, die Gesellschaft von Grund auf umzukrempeln. Aus der Walhalla der Revolutionäre wird niemand zu uns herabsteigen und unsere Probleme lösen, unser Land verändern - das ist ausgeschlossen; das kann gar nicht funktionieren.“ Im Gefängnis von Kaduna 1967 bis 1969 kritzelte Soyinka illegal auf Toilettenpapier und zwischen den Zeilen eingeschmuggelter Bücher Notizen, Beobachtungen, Gedanken und Bekenntnisse - Materialien zu jenen „prison notes“, die 1972 unter dem Titel The Man Died erscheinen: ein faszinierendes Konglomerat aus Autobiographie und zeitgeschichtlicher Reportage, politischer Analyse und subversiver Reflexion, Anklage gegen die Herrschenden und kritischer Selbstbeobachtung - eine Stimme aus den Kerkern in den finstersten Jahren der Geschichte Nigerias und ein Dokument, das der exemplarischen Literatur über die Folterhöllen unseres Jahrhunderts zuzurechnen ist. Klaus Kreimeier Auszüge aus einem ausführlichen Essay Klaus Kreimeiers über „Das Trauma von Biafra - Literatur und Politik in Nigeria“, veröffentlicht in Kreimeiers „Geborstene Trommeln - Afrikas zweite Zerstörung“, Verlag Neue Kritik, 213 Seiten, 24,–DM.