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■ Niedersächsische Meldeordnung führt Datenschutz ad absurdum: Meldeämter werden verpflichtet, Daten der Bürger an die Polizei weiterzugeben / Der Landesdatenschutzbeauftragte: Verordnung ähnelt Rasterfahndung

Aus Hannover Axel Kintzinger

Seit Beginn dieses Monats hat in Niedersachsen eine Meldeordnung Gültigkeit, die nicht nur von den Grünen, sondern auch vom Landes–Datenschutzbeauftragten Klaus Tebarth in etlichen Punkten hart kritisiert wird. Das Hauptmanko: Die Meldeämter sind jetzt verpflichtet, sämtliche An– und Abmeldungen, etwa bei Wohnungs– oder Ortswechseln, an die Polizei weiter zu geben. Zudem sollen Polizeibeamte für die Nacht– und Wochenendschichten Schlüssel für die Räume der örtlichen Meldebehörden erhalten. Damit wird eine Kontrolle des Zugriffs auf die Daten der Bürger ad absurdum geführt. Der Innenausschuß des Niedersächsischen Landtages hatte es bei der Beratung dieser Verordnung eilig. Der Entwurf mußte das Gremium Mitte September zügig passieren, da die bisherige Regelung am 1. Oktober ihre Gültigkeit verlieren sollte. In einem Vorab– Schreiben an die im Innenausschuß vertretenen Abgeordneten zählte der Datenschutzbeauftragte eine Reihe von „erörterungsbedürftigen“ Punkten auf. So macht ihm die „regelmäßige Übermittlung der Meldedaten aller Bürger an Stellen außerhalb der Meldebehörden für nicht unmittelbar melderechtliche Zwecke und ohne Rücksicht auf die Erforderlichkeit der Übermittlung im Einzelfall“ schon allein deswegen große Sorgen, weil dies per Direktabruf über den Online–Anschluß passieren soll. Außerdem enthalte der Entwurf „entgegen meiner Anregung“, so Tebarth weiter, „keine ausreichenden Vorschriften zur Datensicherung“. Seine Forderung: Meldedaten sollen nur an die Polizei weitergegeben werden, „soweit dies im Einzelfall zur Gefahrenabwehr oder zur Verfolgung von mit Strafe oder Geldbuße bedrohten Handlungen erforderlich ist“. Das sei selbst in anderen unionsregierten Ländern wie Bayern oder Schleswig–Holstein der Fall. Die kritisierten Punkte der neuen Meldeordnung ähnelten der Rasterfahndung, meint der Datenschutzbeauftragte. Unklar ist ihm auch, warum in der Verordnung die Daten von „Medizinalpersonen“ besondere Beachtung finden sollen. Dem Grünen–Vertreter im Innenausschuß, Hannes Kempmann, schwant dabei nichts Gutes. Für ihn deutet dieser Punkt auf eine „Maßnahme zur Kriegsvorbereitung“ hin. In der Ausschußsitzung kam die Skepsis des Datenschutzbeauftragten jedoch erst sehr spät zur Sprache. Tebarth hielt sich zurück und verwies lediglich darauf, daß sein hessischer Kollege Simitis die Verordnung für verfassungswidrig halte. Nur die verfahrensrechtliche Frage, ob der Erlaß als Verordnung durchgehen könne und nicht als Gesetz vom Landtags– Plenum diskutiert und verabschiedet werden müßte, brachte Tebarth in Widerspruch zu den Vertretern der CDU/FDP–Mehrheit und auch der Beamten des Innenministeriums. Einer von ihnen war Ministerialdirigent Dr. Mahn. Er drängte: Polizei und andere Behörden würden vom 1. Oktober an „keine Daten mehr von den Meldebehörden bekommen können, wenn die Verordnung nicht bis zu diesem Tag in Kraft getreten ist“ - für einen Beamten aus dem Innenministerium wohl eine schaurige Vorstellung. Zudem sei alles, so Mahn etwas genervt, im Niedersächsischen Meldegesetz entsprechend geregelt. Tebarth, sonst ein eher unauffälliger Vertreter seiner Zunft, widersprach und bekam die Unterstützung des Grünen–Vertreters: In der Verordnung würden, so Kempmann, weitgehend „polizeigesetzliche Regelungen vorweggenommen“. Und die müßten „unter allen Umständen in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren getroffen werden“. Doch auf parlamentarischem Wege, räumt Kempmann gegenüber der taz ein, „ist nicht mehr viel drin“. Zwar hat die Grünen– Fraktion beim Gesetz–Beratungsdienst des Landtages ein juristisches Gutachten beantragt, „doch der Druck“, so Kempmann weiter, „muß jetzt von draußen kommen“. Der Kreis der Betroffenen dürfte groß genug sein. Die Daten aller, die das 14. Lebensjahr erreicht haben, werden in Niedersachsen mit der Anmeldung bei einem neuen Ordnungsamt an Polizei– und andere Behörden wie etwa das Ausländeramt weitergeleitet. Das führe, meinen die Grünen, zu einer zweiten Meldedatei, die das Verfassungsgericht und besonders auch dessen ehemaliger Präsident Benda (CDU) als verfassungswidrig bezeichnet haben.