Noch gehen die roten Lampen nicht aus

■ Die Wiesbadener Frauenbehörde und eine Selbsthilfegruppe der Prostituierten luden zur Rundfahrt durch die neuen „Toleranzzonen“ / Abschiebung der Prostitution in Industriebezirke geplant / Pieksauberes Bahnhofsviertel für Investoren

Aus Frankfurt M. Miersch

Dunkle Straßen, Industriehöfe, Lagerhallen, Hafenbecken. Acht Uhr abends, und kein Mensch auf der Straße. Nur ein hell erleuchteter Reisebus schleicht um die Ecken. An den Fenstern Kameraleute und Fotografen, die versuchen, Öde und Tristesse der Umgebung aufs Bild zu bannen. Der Frankfurter Osthafen am Donnerstagabend. Marita Haibach, Staatssekretärin der hessischen Frauenbehörde, hatte die interessierte Öffentlichkeit eingeladen, sich ein Bild von dem zu machen, was Walter Wallmann und sein Nachfolger Brück „neue Toleranzzonen“ nennen. Hier, wo kein Mensch wohnt, wo kaum eine Telefonzelle steht und wo nicht mal ein Kiosk abends offen hat, sollen Frankfurts Prostituierte abends auf ihre Freier warten. Das werden sie mit ziemlicher Sicherheit nicht tun, denn in dieser Gegend würde nicht mal ein Mann nachts spazieren gehen, es sei denn, er hat drei Karatekurse absolviert. Der Leiter der Hafenbetriebe bringt es auf den Punkt: „Wir rechnen nicht damit, daß auch nur eine Prostituierte kommt.“ Was soll also die „Scheinausweisung“ neuer Toleranzzonen, die keine sind? Die Stadt ist gesetzlich verpflichtet, zehn Prozent des Stadtgebiets für die Prostitution freizugeben. Die Auflage ist formal erfüllt, doch die Saubermänner im Magistrat kön nen sicher sein, daß sich die Prostituierten real nur in einem Prozent der Stadtfläche bewegen dürfen. In diesem einen Prozent können sich die 2.000 Frankfurter Prostituierten dann gegenseitig auf die Füße treten. Das hat viele Vorteile, nur eben keine für die Prostituierten: Die Stadt verfügt über optimale Kontrollmöglichkeiten, sollte sich die AIDS–Hysterie weiter ausbreiten, die Puff–Besitzer werden astronomische Zimmermieten verlangen können (z.Z. 200 Mark pro Tag), und wenn die Stehplätze knapp werden, können die „Beschützer“ auch wieder ins Geschäft kommen. Doch nicht nur auf der Straße und im Bordell brechen harte Zeiten an. Auch die Mehrzahl der Prostituierten, die von ihren Appartements aus telefonische Verabredungen treffen, ist betroffen. Wer jetzt außerhalb der „Toleranzzonen“ wohnt und mehr Männerbesuch empfängt, als es den Nachbarn genehm ist, kann tagtäglich zittern, wie lange die Toleranz der Hausbewohner noch währen wird. Doch Wallmann und Brück haben es geschafft, das berüchtigte Frankfurter Bahnhofsviertel wird eine „hurenfreie Zone“. Peepshows und Sexshops dürfen zwar bleiben, aber für die 45 Bordelle hat das letzte Schäferstündchen geschlagen. Finanzkräftige ostasiatische Banken können dann dort glitzernde Hochhäuser errichten, wo jetzt noch die Eros–Center stehen. Die neue Sperrgebietsverord nung, die Ende dieses Jahres in Kraft treten soll, wurde von der CDU bereits vor zwei Jahren auf den Tisch gelegt. Inzwischen ist sie vom Regierungspräsidenten in Darmstadt im Sinne der SPD nachgebessert worden. Bereits im letzten Kommunalwahlkampf hatten sich die Sozialdemokraten als die besseren Saubermänner präsentiert. Motto: Die CDU will die Prostitution in die Stadtviertel tragen - wir nicht. So blieben nur die menschenleeren Industriebezirke Osthafen und Gutleutviertel als zukünftige „Redlightquarter“. Darüber hinaus nur das am Main gelegene Deutschherrenufer (sic!) und zwei kleine Gäßchen, in denen sich das Gewerbe drängeln wird. Aber noch gehen die roten Lampen am Bahnhof nicht aus. Mitgliederinnen der Selbsthilfeorganisation „Huren wehren sich gemeinsam“ (HWG) wollen mit Unterstützung der autonomen Frauen im Römer gegen die städtische Verordnung klagen. Die Chancen für einen juristischen Sieg stehen nicht schlecht, denn da 90 Prozent der „Toleranzgebiete“ offensichtlich nur zum Schein bestehen werden, kommt die neue Verordnung einer „Kasernierung der Prostitution“ gleich. Und die ist verboten. Bereits in den siebziger Jahren hatte ein Puff–Besitzer erfolgreich gegen die damalige Sperrgebietsverordnung geklagt. So hoffen die HWG–Prostituierten weiterhin, daß sie nicht in das abgelegene Hafenviertel ausweichen müssen. „Selbst die Nazis“, sagt die Hosteß Verena selbstbewußt, „haben es nicht geschafft, die Prostitution zu verbieten.“ Oder, wie Marita Haibach meinte: „Solange es ein Patriarchat gibt, wird es Doppelmoral geben. Und das dauert noch ein paar hundert Jahre.“