Frieden im Norden - Im Süden Hatz

■ Nach Blockadetagen gegen WAA Wackersdorf: Zwei Wohnungen von SEK–Einheiten gestürmt / 300 Demonstranten eingekesselt / 494 Festnahmen / 15.000 auf relativ friedlicher Brokdorf–Demo

Aus Schwandorf Bernd Siegler

Schwandorf (taz) - Brennende Blockaden, umgesägte Strommasten, massive Polizeipräsenz und Festnahmen am laufenden Band bestimmen das Geschehen in der Oberpfalz nach Beendigung der für die WAA–Gegner erfolgreich verlaufenen zweitägigen Blockadeaktionen. Am Samstagmittag bliesen schließlich schwerbewaffnete Sondereinsatzkommandos zur „Terroristenhatz“ in zwei Unterkünften von WAA–Gegnern. „Bei uns ist ein Hinweis eingegangen, daß sich dort ein gesuchter Terrorist aufhält“, begründete ein Sprecher des Schwandorfer Polizeiführungsstabes die Aktion. In Ponholz wurden 18 WAA– Gegner von Göppinger SEK–Leuten mit schußbereiter MP gezwungen, sich eine Stunde lang auf den Boden zu legen, bevor sie abtransportiert wurden. In Burglengenfeld inszenierte man stilgerecht eine „Terroristenfahndung“: Nachdem die gesamte Straße von Sondereinsatzkommandos hermetisch abgeriegelt worden war, wurde der Sohn des Wohnungsinhabers, lediglich mit Unterhosen bekleidet, mit gezücktem Revolver auf die Straße getrieben. 11 WAA–Gegner wurden festgenommen. Alle Beteiligten, ausnahmslos Berliner AKW–Gegner, sind inzwischen wieder auf freiem Fuß. Sie sehen in der Aktion in Burglengenfeld einen gezielten Schlag gegen „die am besten funktionierende Städtepartnerschaft“ zwischen einheimischen BIs und auswärtigen WAA–Gegnern. Weil man mit massiven Großeinsätzen während der Blockadetage keine Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung schüren konnte, sollte dies nun mit vermeintlicher Terroristensuche gelingen. Bereits am Freitagabend hatten starke Polizeieinheiten in Schwandorf zum Großeinsatz geblasen. Nachdem die geplante Kundgebung auf dem Marktplatz zuvor vom Landratsamt auf schriftliche Weisung des Innenministeriums verboten worden war, revidierte das Verwaltungsgericht Regensburg diesen Entscheid. Im Anschluß an die Kundgebung bildete sich spontan ein Demonstrationszug mit etwa 1.000 Teilnehmern. 300 Demonstranten wurden schließlich von mehreren Hundertschaften Bereitschaftspolizei eingekesselt. Bevor 186 WAA–Gegner festge nommen und abtransportiert wurden, zerrten Einsatzbeamte Journalisten und Fotografen ohne Angabe von Gründen hinter die Polizeilinien. Greiftrupps in kugelsicheren Westen nahmen während des vier Stunden dauernden Abtransports der Umzingelten weitere vier Personen fest. Laut Polizeiangaben erhöhte sich mit dem Kessel die Zahl der während der Aktionstage Festgenommenen bis Redaktionsschluß auf 494. Das Infobüro Freies Wackerland spricht von ca. 550. Inzwischen haben sich Teile der SPD von den Blockadetagen distanziert. Der Amberger Unterbezirksvorsitzende Wolfgang Sieler nannte die militanten WAA–Geg ner „menschenverachtende und Leben gefährdende Straftäter“. Die örtlichen Bürgerinitiativen mußten sich von der regionalen Presse vorwerfen lassen, daß sie die Sachbeschädiger nicht kritisieren. SPD–Landrat Schuierer wollte zwar die Aktionen nicht billigen, meinte aber das Vorgehen der Polizei sei „völliger Unsinn, der zum Teil in den Bereich der Provokation“ hineinreiche. Brokdorf–Demo Kiel (taz) - In der schleswig–holsteinischen Landeshauptstadt demonstrierten am vergangenen Sonnabend nach Angaben der Veranstalter 15.000 Kernkraftgegner gegen die Inbetriebnahme des AKW Brokdorf. Die Route, die die Organisatoren - Grüne, SPD, Bürgerinitiativen und Umweltschutzverbände hatten zur Teilnahme aufgerufen - mit der Polizei vereinbart hatten, führte den Demonstrationszug zu den verschiedenen Kieler Bezugspunkten der Atompolitik: Vor den Stadtwerken kritisierte der Vertreter der BI gegen Atomanlagen, Willi Voigt, die von der Stadt abgeschlossenen Verträge mit dem Energie–Multi Preußen Elektra, die Kiel zur Atomstromabhängigkeit verurteilen. Nach einer weiteren Zwischenkundgebung vor dem Hafenterminal der Fährschiffgesellschaft „Stena–Line“, auf der die Atommülltransporte auf Passagierschiffen angeprangert wurden, zogen die Teilnehmer zur Genehmigungsbehörde für das AKW Brokdorf, dem schleswig–holsteinischen Sozialministerium. Da auf dem Weg dorthin die Fensterscheiben der CDU Kreisgeschäftsstelle und einiger Banken eingeworfen wurden, sah sich die mit insgesamt 1.000 Beamten vertretene Polizei genötigt, massiv Präsenz zu zeigen, um „Aggressionen zu dämpfen“. Aus Angst vor weiterem Glasbruch änderte sie dann die vereinbarte Route und leitete den Demonstrationszug trotz des Protestes der Veranstalter um. Der Grüne Lars Hennings, der die Demonstration angemeldet hatte, sprach von „der größten Demonstration in Kiel seit dem Matrosenaufstand von 1918“.