Am Thron wackelt niemand

■ In dieser Woche weilt der publicityscheue nepalesische Monarch Birendra Bir Bikram Shah Deva erstmals seit der Thronbesteigung 1972 in der BRD auf Staatsbesuch / Außer Trekking in den Himalayabergen und Shopping in Kathmandu ist bei uns fast nichts über die Monarchie auf dem Vordach der Welt bekannt

König Birendra Bir Bikram Shah Deva, Pfeifenraucher und nach Auffassung gläubiger Nepalis eine Wiedergeburt des Hindu– Gottes Wishnu, gilt als aufgeklärt und liberal. Das ändert nichts daran, daß in Nepal politische Parteien verboten, Grundrechte außer Kraft und Oppositionelle ins Gefängnis gesetzt wurden; es ändert nichts an Armut und Korruption und nichts an der Macht einer kleinen Clique von Familien. Die Straße von Kathmandu nach Süden wurde von den Indern gebaut, die nach Norden von den Chinesen; chinesisch sind die Oberleitungsbusse, die zwischen Kathmandu und Bhaktapur verkehren, indisch der Flughafen. Vor allem mit Hilfe der großen Nachbarn im Norden und im Süden wurde das bis Anfang der fünfziger Jahre von der Außenwelt abgeschottete Königreich Nepal in den vergangenen Jahren erschlossen, für Tourismus, Importe und einen Schwall von Entwicklungshilfe, die weit davon entfernt ist, sich selbst überflüssig zu machen. Die wirtschaftliche Situation des Landes ist düster. Die Nahrungsmittelproduktion ist rückläufig, die Mehrheit der Landbevölkerung überlebt nur mit Mühe in einer ärmlichen Subsistenzwirtschaft, Industrie und Handwerk gibt es so gut wie nicht. Das Gesundheits– und Erziehungssystem ist außerhalb des Tals von Kathmandu kaum existent. Mit einem Bruttosozialprodukt von weniger als 170 US–Dollar pro Kopf reiht sich Nepal in die Gruppe der ärmsten Länder der Welt ein. Unsaubere Geschäfte Nepal, das ist vor allem das Kathmandu–Tal mit den alten Königsstädten Kathmandu, Bhaktapur und Patan. Bewohner anderer Landesteile sagen heute noch: Wir fahren nach Nepal, wenn sie in die Hauptstadt gehen. Hier konzentrieren sich Macht, Reichtum und der geringe Entwicklungsfortschritt, den das Land zu verzeichnen hat. Einige wenige Familienclans alten Adels teilten sich früher den wirtschaftlichen Gewinn auf, der aus dem Handel zwischen China und Indien kam. Heute fließt das Geld, das der Touristenstrom, der Handel mit Indien und die massive Entwicklungshilfe bringen, an die gleichen Adressen. Diese Geschäfte sind nicht immer sauber. Korruption, Schmuggel und Rauschgifthandel, an denen auch Mitglieder der königlichen Familie beteiligt sein sollen, mehren den privaten Reichtum, während der Staat praktisch bankrott ist. Wirtschaftliches, und damit auch politisches Stützkorsett ist die Auslandshilfe, die die wachsenden Defizite im Staatshaushalt und im Außenhandel zumindest teilweise deckt. Zwei Drittel der Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen und 90 Prozent des Entwicklungshaushalts werden mit Hilfsgeldern und zinsgünstigen Krediten finanziert, direkte Nahrungsmittelhilfe mußte immer wieder den schlimmsten Hunger mildern. Eine Ursache der ökonomischen Misere ist die ökologische Misere. Abholzung. Die Landwirtschaft wurde auf steile Hanglagen ausgedehnt, große Teile der Wälder abgeholzt. Für wirksamen Erosionsschutz fehlen die Mittel. Die Folge sind schwere Umweltzerstörungen: die heftigen Monsunregen des Sommers waschen tonnenweise fruchtbaren Boden in die Flüsse, die ihn zunächst in die oberindische Ganges–Ebene und dann weiter in den Golf von Bengalen exportieren. In die gleiche Richtung wandern auch viele Nepalis, deren Felder nicht mehr zum Überleben ausreichen. Tausende suchen in Indien Arbeit: als Straßenhändler, Wächter, Köche - oder auch in der Armee. Seit über hundert Jahren sind nepalische Soldaten, die nach ihrer Herkunft aus der Gurkha–Region Gurkhas genannt werden, wegen ihres Kampfeifers gefragt. Ihre Geldüberweisungen und die Pensionen von Ex–Söldnern sichern vielen Familien daheim das Überleben. Pufferstaat zwischen Indien und China Für den Verlust der Profite aus dem Handel wurde Nepal ein wenig entschädigt durch seine neue Rolle als Pufferstaat zwischen den beiden regionalen Supermächten China und Indien, die einander mißtrauisch beobachten und um Einflußsphären konkurrieren. Erfolgreicher war bislang per Saldo Indien, von dem Nepals Wirtschaftsleben abhängt. Mit Indien wurde 1950 ein Vertrag über Frieden und Freundschaft abgeschlossen, der unter anderem enge wirtschaftliche Beziehungen und Freizügigkeit für die Bewohner beider Staaten vorsieht. Dies war der Dank für die Geburtshilfe, die Indien beim Sturz der despotischen Rana–Dynastie 1950 und der Bildung einer konstitutionellen Monarchie leistete. Der südliche Nachbar ist heute der fleißigste Entwicklungshelfer, gefolgt von Japan und der BRD. Nachdem Nepals Bergwälder weitgehend verschwunden sind und auch in der fruchtbaren Terai– Region am Fuße des Himalayas die meisten Dschungelgebiete der Landwirtschaft gewichen sind, besteht Nepals potentieller Reichtum heute in der Wasserkraft. Die Reserven werden auf 83.000 MW geschätzt, doppelt so viel, wie bislang in ganz Indien installiert wurde. Auf dieses Potential hat der südliche Nachbar ein Auge geworfen, da Indiens Möglichkeiten beim Bau neuer Wasserkraftwerke weitgehend erschöpft sind und der Widerstand aus der Bevölkerung gegen den Bau von Dämmen immer stärker wird. Sehnsüchtig stellte eine indische Zeitung fest, der kleine Nachbar „könne genügend Energie und Bewässerungspotential schaffen, um das Gesicht von Uttar Pradesh, Bihar und Nepal zu verändern“. Darüber hinaus könnten die geplanten Staudämme an den nördlichen Zuflüssen des Ganges, die alljährliche Überflutung der nordindischen Tiefebene und des Ganges–Deltas stoppen. Doch die Verhandlungen zwischen Indien und Nepal kommen, trotz fertiger Pläne und Finanzierungsbereitschaft der Weltbank, nicht voran. Offenkundig fürch ten die Nepalis eine weiter wachsende Abhängigkeit vom Großen Bruder. Die meisten Waren, die in Nepal auf dem Markt sind, kommen aus Indien, der Rest kommt aus Hongkong, Singapur oder Südkorea, - moderne Konsum– und Luxusartikel, die Kathmandu jahrelang zum Einkaufsparadies für reiche Inder machten. Indien ist nicht nur der größte Hilfegeber, sondern auch der größte Handelspartner; da Nepal so gut wie keine eigene Industrie besitzt, muß alles importiert werden. Unter dieser ungleichen Beziehung leidet nicht nur Nepals Handelsbilanz, sondern werden auch mögliche Ansätze zum Aufbau einer eigenständigen Wirtschaft unterminiert. Trotz Freundschaftsvertrag sind die wirtschaftlichen Gesetze, die die Beziehungen zwischen einem industrialisierten und einem nichtindustrialisierten Land regeln, nun mal überall die gleichen. Gleichzeitig blüht der illegale Handel über die offene Grenze. Landwirtschaftliche Produkte aus der fruchtbaren Terai–Region bringen im benachbarten Indien höhere Preise, Edelhölzer ebenso. Dünger, der zur Ankurbelung der Landwirtschaft vom nepalischen Staat kräftig subventioniert wird, landet auf den Feldern indischer Bauern. Und ob legal oder illegal, Handel oder Schmuggel, die Kontrolle von Indern wächst stetig. Dazu kommt eine Einwanderungsbewegung landsuchender indischer Bauern in der Terai–Region, wo inzwischen schon einige Millionen Inder leben sollen. Je enger diese Beziehungen werden, desto stärker leidet die Freundschaft zwischen beiden Staaten. So war es denn ein unmißverständliches Signal, als im Sommer 1983 in einem Untersuchungsbericht festgestellt wurde, daß eine „ungezügelte Einwanderung für viele wirtschaftliche Probleme des Landes“ verantwort lich sei, und darum gefordert wurde, zukünftig die Einreise von Indern durch die Einführung einer Visapflicht zu kontrollieren. „Der Vertrag von 1950 ist mit Sicherheit überholt“, tat der Verfasser seine Meinung kund. Die anti–indische Stimmung in Nepal wird nicht gerade freundlicher angesichts der ausländerfeindlichen Kampagnen in den nordostindischen Bundesstaaten, aus denen inzwischen mehrere Tausend Nepalis abgeschoben worden sind. Parteien unerwünscht Also Nepal den Nepalis? Als zugkräftiger Slogan und wirksame Ablenkung sind solche Gedanken auch immer wieder nützlich für die innenpolitischen Auseinandersetzungen, die trotz staatlicher Repression hitziger werden. Die Bomben, die am 20. Juni 1985 vor dem Palast, dem Parlamentsgebäude und einem luxuriösen Touristenhotel (im Besitz eines Mitglieds der Königsfamilie) in Kathmandu sowie in weiteren Städten explodierten, waren ein Fanal - unklar ist bis heute allerdings, wofür. Die Verantwortung übernahm damals die Vereinigte Front von Ram Rajya Prasad Singh, der im indischen Exil lebt. Das Feuerwerk könnte aber durchaus auch Begleitmusik eines Machtkampfes innerhalb der herrschenden Clique sein, mit dem Ziel, eine Demokratisierung zu verhindern und, unter Hinweis auf die ausländische Drahtzieherschaft der Attentate, die politische Opposition als von Indien gesteuert zu denunzieren. Jedenfalls dienten die Anschläge als Anlaß zu einer Verhaftungswelle unter der Opposition; schärfere Gesetze wurden erlassen, die unter anderem die Todesstrafe ermöglichen. „Wir sind keine Demokratie“, gab D.S. Rana, ein früherer Minister und Volksvertreter, der Zeitschrift India Today zu Protokoll. „Wir haben ein Panchayat, das vom Volk gewählt und vom König geführt wird.“ Diese Volksvertretung, Rashtriya Panchayat, ist eine Art Ständeparlament, vor 25 Jahren gnädig vom damaligen Monarchen gewährt. Da Parteien verboten sind, können sich nur offiziell unabhängige Kandidaten zur Wahl stellen. Das Panchayat war das Trostpflaster dafür, daß der König die Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, nachdem 1959 bei den ersten Parlamentswahlen in Nepals Geschichte der Nepali Congress überlegen gewonnen hatte und weitreichende Landreformen ankündigte, die die Position der landbesitzenden Adelsfamilien und des Königshauses bedrohten. 1980, nach heftigen Demonstrationen der Opposition, die die Zulassung von Parteien forderte, ließ sich das Königshaus in einer Volksabstimmung dieses Panchayat–System bestätigen. Die Abstimmung ging äußerst knapp zugunsten des Monarchen aus, und es gab einige Retuschen, die die politische Mitwirkungsmöglichkeit des Rashtriya Panchayat etwas erweiterten. Doch letzte Instanz bleibt der König. Die nahezu ungebrochene Macht von König und Adel hat vier solide Stützen: die religiöse Legitimation, die Kontrolle über die Wirtschaft, 45.000 gut ausgebildete und ausgerüstete Soldaten und Polizisten und eine weitgehend wirksame Ausschaltung der politischen Opposition, sei es durch willkürliche Verhaftung, Exilierung, die Aufhebung der Grundrechte und die Gängelung der Presse, sei es durch den Einkauf ihrer Führungsmänner. Andersdenkende haben es dementsprechend schwer. Die Opposition besteht fast nur aus Intellektuellen, dem städtischen Mittelstand und einigen fortschrittlichen Beamten; unter der ländlichen Bevölkerung haben sie praktisch keine Basis. Neben dem Nepali Congress, dem pro–indische Sympathien nachgesagt werden, sind vor allem mehrere kommunistische Fraktionen und einige maoistische Gruppen aktiv. Gelegentlich regt sich auch breiterer Widerstand wie beim eintägigen Ausstand von 60.000 Lehrern im Frühjahr 85, die Gewerkschaftsrechte und höhere Gehälter forderten. Verbindendes Moment sind die Forderungen nach Grundrechten und die Zulassung von Parteien. Am Thron wollen die wenigsten wackeln. Trotzdem bleibt man im Palast von Kathmandu mißtrauisch, hat man dort doch das traurige Beispiel des östlichen Kollegen stets vor Augen: 1974 wurde das ehemalige Königreich Sikkim von Indien eingemeindet, nachdem es beim Sturz des dortigen Regenten und einem nachfolgenden Referendum über den Anschluß kräftig nachgeholfen hatte.