Massenausweisung in Frankreich

■ Erste Anwendung des verschärften Ausländergesetzes / In Nacht– und Nebelaktion 100 des Drogenhandels verdächtigte Malineser ausgeflogen / Innenpolitische Debatte neu entfacht

Aus Paris Georg Blume

Die Anzeigetafeln im Pariser Flughafen Orly kündigten einen Leerflug an. Doch Augenzeugen sahen, wie Polizisten bei Einbruch der Dunkelheit den 19–Uhr–Charter ins westafrikanische Mali beluden. Es handelte sich um eine ungeliebte und aufmüpfige Fracht: 101 Malineser, die man ohne gültige Aufenthaltserlaubnis erwischt hatte. Die Flugpassagiere wollten keine sein, also legte die Polizei den „Gästen“ Ketten an. Was fast unbemerkt in einer undurchsichtigen Nacht– und Nebelaktion an diesem Wochenende in Orly geschah, ist die größte Massenausweisung der französischen Nachkriegsgeschichte. Innenminister Pasqua ließ auf drastische Art vorschmecken, wie er die neuen französischen Ausländergesetze vom 9.9. dieses Jahres auszulegen gedenkt. Danach können Ausländer, die sich ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Frankreich befinden, ohne den bisher erforderlichen gerichtlichen Befund abgeschoben werden. Dennoch verstieß Pasqua gegen sein eigenes Gesetz, das ausdrücklich vorsieht, daß kein Ausländer zum Besteigen eines Flugzeugs gezwungen werden darf. Dazu der Sprecher des Innenministeriums: „Es gibt Fälle, in denen es nicht anders geht. (...) Die Polizisten haben von der nötigen Gewalt Gebrauch gemacht, um sie (die Malineser, G.B.) an Bord Platz nehmen zu lassen.“ Die Polizei bezeichnete die Mehrzahl der ausgewiesenen Malineser als Drogenhändler. Weiteres wurde nicht bekannt. Die Opposition aus Kommunisten und Sozialisten, Gewerkschaften, zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Teile der Presse reagierten am Montag entrüstet auf die Ausweisung der Malineser. „In einer Demokratie hat das Spektakel einer überwältigten und angeketteten Herde Menschen einen übelerregenden Geschmack“, kommentierte der sozialistische Le Matin. Damit ist erstmalig wieder eine Debatte um die repressive Ausländerpolitik der Chirac–Regierung entfacht, nachdem diese mit der Attentatswelle, die im letzten Monat Paris erschütterte, jeder Kritik - auch von links - enthoben schien.