Selbstverschuldete Demütigung

■ Zur Verhaftung des BGAG–Vorsitzenden Lappas

Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Günter Schröder, hat auf dem Gewerkschaftskongreß der IG Metall in Hamburg in sicherlich verständlicher Erregung die Verhaftung des BGAG–Vorsitzenden Lappas mit der Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Faschisten im Jahre 1933 verglichen. Das ist eine groteske Entgleisung. Daß er für dieses Zeugnis seiner politischen Verwirrung, für diese posthume Beleidigung all der von den Faschisten in Gefängnis und KZs geworfenen Gewerkschafter auch noch tosenden, wutentbrannten Beifall erhielt, läßt für die innere Bewältigung der Ereignisse dieses Wochenendes durch die Gewerkschaften nichts Gutes erwarten. Dabei müßten doch auch dem letzten Gewerkschafter allmählich die Dimensionen des Neue–Heimat–Debakels klar werden. Die Gewerkschaften stehen mit dem Rücken zur Wand, nicht weil die anhaltende Massenarbeitslosigkeit immer mehr die Aktionsfähigkeit ihrer Basis zersetzt, nicht weil die Bundesregierung mit allen möglichen Gesetzesänderungen die Zwei– Drittel–Gesellschaft betreibt, auch nicht weil die Koalition mit der Novellierung des Paragraphen 116 das Streikrecht verschärft hat. Das alles haben die Gewerkschaften durch erstaunliche Mobilisierungserfolge in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Arbeitszeitsverkürzung, mit den Protesten gegen Sozialabbau und den 116 relativ unbeschadet überstanden. Ja, sie haben im Frühjahr dieses Jahres sogar die Regierung mit ihrer 116–Kampagne derartig in die Enge getrieben, daß diese schleunigst andere, gegen die Gewerkschaften gerichtete Gesetzesvorhaben in Angst um ihre Wahlchancen fallengelassen hat. Vielleicht ist es schon zu spät für die Gewerkschaften, sich aus all den Widersprüchen und skandalösen Wirrnissen durch radikale Selbstkritik zu befreien, in denen sie sich über Jahrzehnte konzeptionslos verstrickt haben. Natürlich hat die Regierung die Neue Heimat benutzt, um die Gewerkschaften sowohl finanziell auszubluten als auch moralisch zu diskreditieren. Aber all die lautstarken und empörten Entlastungsangriffe der Gewerkschaften schlagen auf sie selbst zurück: Schließlich haben sie genug Gelegenheit geboten und bieten sie - wie sich jetzt zeigt - immerfort weiter. Die Milliardenverluste, die der DGB aus dem Desaster der Neuen Heimat, ja der gesamten Gemeinwirtschaft, zu tragen hat, wiegen sicher schwer. Aber was die Gewerkschaften in politischer Münze drei Monate vor der Wahl, unmittelbar vor der nächsten Kraftprobe mit den Arbeitgebern und der Regierung in Sachen Arbeitszeit nunmehr zahlen müssen, kommt einer Katastrophe gleich. Sicher, die Verhaftung des BGAG–Vorsitzenden war mehr als eine gezielte politische Provokation. Sie war eine bewußte, höhnisch und medienwirksam inszenierte Demütigung der Gewerkschaften. Ein thriumphierender Stoß gegen die politisch–moralische Glaubwürdigkeit einer Bewegung, die sich lautstark und unbequem für die sozialen Belange des gemeinen Volkes stark macht. Gleichzeitig aber ist es diese Bewegung, die Figuren wie Vietor, Hesselbach und eben auch Lappas an ihrer Spitze völlig unkontrolliert agieren läßt. Die Folgen dieser politischen Katastrophe sind noch gar nicht abzusehen. Aber eines ist jetzt schon klar: Jede progressive Gesellschaftspolitik, jede wie auch immer eingefärbte Politik gegen die konservative Strategie der Amerikanisierung hat auf absehbare Zeit keine Chancen, wenn die Gewerkschaften derart am Boden liegen. Martin Kempe