ALKEM ist nicht genehmigungsfähig

■ Staatsanwaltschaft Hanau stellte Anklageschrift gegen Warrikoff, Stoll und drei Beamte des hessischen Wirtschaftsministeriums vor / Beschuldigte Beamte „versetzt“ / Ministerpräsident Börner lehnt Stillegung ab

Von K.P. Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Die Staatsanwaltschaft Hanau hat gestern im Rahmen einer Pressekonferenz die 680–Seiten starke Anklageschrift gegen die ALKEM–Manager Stoll und Warrikoff (CDU– MdB) und gegen die leitenden Mitarbeiter der Atomabteilung des hessischen Wirtschaftsministeriums, Ulrich Thurmann, Hermann Frank und Angelika Hecker vorgestellt. Wie Oberstaatsanwalt Farwick mitteilte, werden die beiden ALKEM–Geschäftsführer beschuldigt, „zwischen 1975 und 1984 in mindestens sechs Fällen fortgesetzt handelnd“ wesentliche Veränderungen des Betriebs bzw. der Anlage der Plutoniumfabrik vorgenommen zu haben, „ohne im Besitz der hierfür nach dem Atomgesetz erforderlichen Genehmigungen gewesen zu sein“. Den angeklagten Beamten aus dem hessischen Wirtschaftsministerium hält die Staatsanwaltschaft vor, diesen „atomgesetzwidrigen Zustand“ nicht nur geduldet, sondern den Geschäftsführern durch die Erteilung gleichfalls atomgesetzwidriger „Zustimmungserklärungen“ bewußt Beihilfe geleistet zu haben. Die innerbetriebliche Spaltstofftransporteinheit wurde von 2,6 kg auf 3,5 kg Plutoniumoxid pro Transport erhöht. Im Bunker der Firma ALKEM wurden Brennstäbe mit hoher Spaltstoffanreicherung gelagert. Darüber hinaus habe die ALKEM - ebenfalls mit der Zustimmung der Atomabteilung des Ministeriums - eine „Änderung der Brennstablinie I“ vorgenommen, ein neues Verfahren für die Brennelementemontage (Konversion) eingeführt, die Spaltstoffdichte in der Fertigungslinie II erhöht und eine neue „Abfallbehandlungsanlage“ atomgesetzwidrig errichtet. Farwick stellte ausdrücklich fest, daß der heute real–existierende Betrieb ALKEM nicht mehr der sei, für den seinerzeit - nach der Änderung des Atomgesetzes (1975) - eine Umgangsgenehmigung nach § 9 des alten Atomgesetzes erteilt worden war. Die Frage, ob die Firma damit tatsächlich den sogenannten „Bestandsschutz“ des § 9 verwirkt habe und umgehend stillgelegt werden müsse, mochte Oberstaatsanwalt Farwick allerdings nicht beantworten. Das sei eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde und Gegenstand eines möglichen Verwaltungsgerichtsverfahrens. Allerdings gehen er und Dr. Helge Schier vom hessischen Wirtschaftsministerium davon aus, daß die Firma ALKEM „so nicht genehmigungsfähig“ sei. Farwick bestätigte indirekt auch die Expertise des Gutachters Geulen, der behauptet hatte, daß die Hanauer Nuklearbetriebe „von Anfang an“ ohne Genehmigungen arbeiten würden. Genehmigungen nach der Gewerbeordnung lagen auch der Staatsanwaltschaft nicht vor. Sämtliche „Zu stimmungserklärungen“ seien von den langjährigen Leitern der Atomabteilung im Ministerium Thurmann, Frank und Hecker gezeichnet worden. Auf Nachfrage erklärte Staatsanwalt Hübner, daß die Staatsanwaltschaft für eine Beteiligung der zuständigen Minister „keine Belege gefunden“ habe. Einen „Beleg“ dafür, daß zumindest der 1984 verantwortliche Wirtschaftsminister Heribert Reitz von der Praxis der Erteilung illegaler Zustimmungserklärungen gewußt haben muß, lieferte im Anschluß an die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft der Angeklagte Warrikoff nach. Der „beurlaubte“ ALKEM–Geschäftsführer, der ohnehin die Auffassung vertrat, daß hier eigentlich „die hessische Landesregierung“ auf die Anklagebank gehöre, legte auf seiner Pressekonferenz die Antwort des Ministers Reitz auf eine kleine Anfrage des Grünen Jakob vor. Darin heißt es, daß die Landesregierung „bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen“ bereit sei, „Änderungen vor einer Entscheidung im laufenden Verfahren nach Atomgesetz“ zuzulassen. Aus der Beantwortung der Anfrage geht auch hervor, daß Reitz von der gesetzwidrigen Errichtung der Abfallbehandlungsanlage wußte. Warrikoff beschuldigte die Staatsanwaltschaft, mit ihrer Anklageerhebung das „Geschäft von SPD und Grünen“ zu betreiben. Warrikoff vertrat die Ansicht, daß der § 9 des alten Atomgesetzes „im Rahmen der bisherigen Tätigkeit“ sehr wohl wesentliche Änderungen zulasse. Mehrere Landes– und Bundesregierungen hätten diese Praxis für „rechtmäßig und richtig“ gehalten. Der CDU–Bundestagsabgeordnete verwies auf eine Stellungnahme des Hauses Wallmann, in der diese Rechtsauffassung erst vor Wochen erneut bestätigt worden sei. Der hessische Wirtschaftsminister hat inzwischen auf die Anklageerhebung gegen Thurmann, Frank und Hecker, die vor ihrer Anstellung im Ministerium leitende Angestellte der ALKEM war, reagiert. Den angeschuldigten Beamten, so Stegers Pressesprecher Raak auf Nachfrage der taz, seien im Ministerium „neue Aufgaben“ zugewiesen worden. Die Grünen im hessischen Landtag forderten dagegen „direkte sachliche Konsequenzen“, denn wer diese Anlage jetzt noch weiter betreibe - „oder betreiben läßt“ - der müsse davon ausgehen, daß er nicht nur gesetzwidrig handele, sondern sich „sogar strafbar“ mache. Der hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD) lehnte das Verlangen nach einer Stillegung der Hanauer Nuklearbetriebe ab. In einem Montag in Wiesbaden bekanntgewordenen Brief an Umweltminister Joschka Fischer (Grüne) stellte der Regierungschef fest, unterschiedliche Rechtsauffassungen seien kein Anlaß, die Firmen zu schließen.