Nazi–Juristen am VGH bleiben straffrei

■ Abschließende Beurteilung der Berliner über Ermittlungen gegen ehemalige Mitglieder des Volksgerichtshofs „Versäumnisse“ eingestanden / Jahrzehntelange Verschleppung der Prozesse verhinderte Schuldbeweise

Von Max Thomas Mehr

Berlin (taz) - „Kein deutsches Gericht wird jemals ein Urteil über einen Richter oder Staatsanwalt des Volksgerichtshofs gefällt haben.“ Das ist die Bilanz des Berliner Generalstaatsanwalts Treppe und von Justizsenator Scholz, nachdem das letzte noch anhängige Ermittlungsverfahrens gegen den früheren Staatsanwalt am Voklsgerichtshof (VGH) Edmund Stark eingestellt wurde. Auf einer Pressekonferenz machten sie gestern keinen Hehl daraus, daß es „auch wegen Versäumnissen der Justiz“ dazu gekommen sei. Darüber hin aus „muß“ das Ergebnis „für jeden, der an eine materielle Gerechtigkeit glaubt, unbefriedigend bleiben“. Der Justizsenator halte es aus heutiger Sicht „für nicht glücklich“, daß zwischen 1970 und 1979 in Sachen VGH nicht ermittelt worden sei.Mindestens 5.242 vollstreckte Todesurteile (von insgesamt ca. 7.000 Urteilen des VGH) wegen solcher „Delikte“ wie „Defäitismus“, „Wehrkraftzersetzung“ und Widerstands gegen den Nationalsozialismus bleiben damit ungesühnt, darunter die gegen die Geschwister Scholl, die Widerstandsgruppe um Stauffenberg und die Gruppe „Neu Beginnen“. Nur zweimal erhob die Staatsanwaltschaft Anklage, zuletzt 1984 gegen den VGH–Berufsrichter Paul Reimers, der sich noch vor Eröffnung der Hauptverhandlung das Leben nahm.Von insgesamt 577 ehemals beschuldigten Mitgliedern des VGH leben der Berliner Staatsanwaltschaft zufolge noch 83. Sie können aber entweder wegen „dauernder Verhandlungsunfähigkeit“ oder aufgrund mangelnder Beweise nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Dies, obwohl die Berliner Staatsanwaltschaft über 2.600 Urteile des VGH in ihre Ermittlungen einbeziehen konnte und darüber hinaus in den meisten Fällen, wie es in einer Broschüre des Justizsenats heißt, überwiegend vollständige Protokolle und Vollstreckungsunterlagen besitzt.Zur letzten Einstellungsverfügung (September 1986) gegen den Staatsanwalt des VGH Edmund Stark, der nach Ermittlungen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) an 50 Todesurteilen mitwirkte und es nach 1945 immerhin zum Landgerichtsdirektor in Ravensburg brachte, meinte der ermittelnde Staatsanwalt Jahntz, daß ihm Mord aus niederen Beweggründen trotz der Mitwirkung in Todesurteilen nicht hätte nachgewiesen werden können. Darüber hinaus sei belegt, daß Stark „immer weg wollte vom Volksgerichtshof“.