: Stationen einer Metamorphose
■ Hessens Ministerpräsident Holger Börner feiert zehnjähriges Amtsjubiläum / Mit „guten Grünen“ erste ökosoziale Regierung gebildet / Die „Dachlatte“ in der Wirbelschichtfeuerung verbrannt
Von Klaus–Peter Klingelschmitt
Frankfurt(taz) - Als in Hessen die Anti–Startbahn–Bewegung ihre „Hochzeiten“ feierte, fand sich ein Mann am Tiefpunkt seiner Karriere als Ministerpräsident und Vorsitzender der Hessen– SPD wieder: Holger Börner(55), der 1976 nach dem HeLaBa–Skandal wie Phönix aus der „Osswald– Asche“ aufgestiegen war, mußte auf dem SPD–Parteitag 1981 die schwerste Niederlage seiner Amtsgeschichte hinnehmen. Im Umland des Frankfurter Flughafens verweigerten die Genossen dem Chef offen die Gefolgschaft und bei den aufgebrachten Bürgern avancierte der „Umweltfrevler“ zur meistgehaßten Person der frühen 80er Jahre. Nach dem Motto: „The harder they come, the deeper they fall“, belagerten im November 81 rund 150.000 Startbahngegner/innen die Landeshauptstadt. Daß der „Fall“ Börners damals beinahe tatsächlich Wirklichkeit geworden wäre, erfuhr die taz 1983 - während eines Intervietermins mit dem „Dicken“, den die Grünen nur „die Dachlatte“ nannten. Börner sei eine Nacht lang in seiner Dienstwohnung auf und ab gegangen und war „drauf und dran“ das Handtuch zu werfen, erklärte einer seiner engsten Mitarbeiter. Doch Willy Brandt und Volker Hauff konnten den Parteisoldaten Börner zum „Halten der Stellung“ überreden. Aber das ist längst „ancient history“. Heute ist Börner unumstrittener Chef der ersten rot–grünen Regierungskoalition dieses Planeten, auch wenn der „starke Holger“ noch 1983 tönte, daß es Aufnahmen von Gesprächen zwischen ihm und den Grünen „noch nicht einmal als Fotomontage“ zu sehen geben werde: Vom Saulus zum Paulus? Doch Börner ist mitnichten zum „grünen Glauben“ konvertiert. Als Parteisoldat hat er 1983/84 lediglich den Regierungsanspruch der Hessen–SPD - via Verhandlungsmarathon mit den Grünen - zementiert; ein Kunststück selbst für einen ehemaligen Betonfacharbeiter. Daß die 1984 realisierte Tolerierungsphase der SPD die Verwirklichung eines „Höchstmaßes an sozialdemokratischer Politik“ sicherte, ließ den „Dicken“ die persönliche Abneigung gegen die grünen „Chaoten“, denen er noch zwei Jahre zuvor mit der geschulterten „Dachlatte“ begegnet war, leichter überwinden. Mit seinem „Lieblingsgrünen“ Karl Kerschgens entwarf Börner die Konturen der neuen „sozial–ökologischen“ Politik - frei nach dem Motto: „Der Fortschritt ist eine Schnecke“ (Börner zitierte Grass). Kerschgens und Kollegen, die „guten Grünen“ in Hessen sorgten auch dafür, daß der Ministerpräsident die scharfen Angriffe der Union auf seine „Glaubwürdigkeit als Mensch“ parieren konnte. Diesen jungen Menschen wolle er „eine Brücke bauen“ (taz–Interview vom 26.11.83). Daß die Grünen in Hessen über diese Brücke direkt in die Regierungsverantwortung „laufen“ konnten, dafür hatte Börner selbst die letzten „Barrikaden“, die von den „hardlinern“ seiner eigenen Partei aufgetürmt worden waren, beseitigt. Im Mai 85 bot der Chef, entnervt von dem monatelangen politischen Hickhack und der einseitigen Aufkündigung des Bündnisses durch die Grünen wg. NUKEM–Genehmigung, den Öko– Paxen überraschend die Koalition an. Die Grünen griffen danach, wie nach einem Rettungsanker, denn nach Wahldebakeln im Saarland und in NRW stand die kleine Partei „am Abgrund“. Nach der Verabschiedung eines neuen Energiegesetzes - dezentrale Energieversorgung - hat Holger Börner jetzt die „Dachlatte“ endgültig in einer der hessischen Wirbelschichtfeuerungsanlagen verbrannt. Und da auch bis jetzt noch kein Unternehmer bei Nacht und Nebel über den Main in CDU–regierte Bundesländer „emigrieren“ mußte, darf der „starke Holger“ - auch gegenüber den Kritikern aus den eigenen Reihen - mit Recht stolz auf seine Politik sein, die „selbstverständlich kein Modell für Bonn“ ist.
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