Freie Kunst unter dem Stempelmoloch

■ Die tschechoslowakische Bürokratie geht wieder härter gegen die Künstler des Landes vor Die „Jazz–Sektion“ wird nach 15 Jahren an den Rand der Legalität gedrängt / Aus Prag Florian Bohnsack

Eine Polizeiaktion hat die Künstler in der CSSR verunsichert. Die in der Jazz–Sektion organisierten Maler, Musiker, Bildhauer und Graphiker wissen nicht mehr, woran sie sind. Sie wollen legal arbeiten und sich doch nicht ans Gängelband des Staates nehmen lassen. Während in Polen und Ungarn die Freiräume größer werden, macht die CSSR die Nischen dicht.

Prag (taz) - „Das ist die schärfste Repression seit der Gründung unserer Organisation“, schimpfte ein Mitglied der Jazz–Sektion über die Verhaftung des Sektionsvorstandes am 2. September. Zur gleichen Zeit war das Haus der Jazz–Sektion unter dem Kommando des Geheimdienstoffiziers Schpirk durchsucht worden. Der Staatssicherheitsdienst SNB konfiszierte über 800 Bücher, Hunderte von Zeitschriften und die Mitgliedsunterlagen. Danach versiegelte Schpirk die Räume und läßt das Haus seitdem überwachen. Mit der Verhaftung hatte niemand gerechnet. Weder der Besitzer des Hauses, Vlastimil Drda, noch sein einundsiebzigjähriger Onkel Milosch noch die anderen Mitglieder des Vorstands, Karel Srp, Josef Skalnik, Cestmir Hunat, Vladimir Kouril und Tomas Krivanek. Die SNB durchsuchte bei der Festnahme gleich noch die Wohnungen der Männer, beschlagnahmte auch hier Sektionsunterlagen und brachte die Künstler dann in das Prager Ruzine–Gefängnis. Nun sind sie angeklagt, sich auf „Kosten der Gesell schaft“ bereichert zu haben, weil sie Bücher und Broschüren der Sektion verkauft hatten. Hochglanzbroschüren über die Arbeiten wichtiger Künstler, die nicht offiziell ausstellen durften, Beiträge zur literarischen Diskussion und Bücher zu zeitgeschichtlichen Themen wie dem Nationalsozialismus wurden neben Noten und Musikbüchern von der Sektion hergestellt. Der Staat überwachte zwar die öffentlichen Druckereien, in denen die Sektion ihre Werke drucken ließ, aber er duldete die Aktivitäten. Schließlich legte die Jazz–Sektion ihren Jahresetat von 600.000 Kronen zu wesentlichen Teilen hier an. Als die Jazz–Sektion 1983 in den tschechischen Musikerverband integriert und gleichzeitg in die Internationale Jazzfederation bei der UNESCO aufgenommen wurde, wurden die Schwierigkeiten größer. Die SNB beschlagnahmte in den Druckereien Bücher und Druckvorlagen über Richard Wagner und über den Dadaismus, durchsuchte Wohnungen von Mitgliedern und veranlaßte die Entlassung einiger Jazzer aus ihren Betrieben. Daraufhin schrieb der Vorstand der Sektion fleißig Beschwerdebriefe an Behörden und Ministerien, doch die rührten sich nicht. Von 70 Eingaben und Beschwerden seit 1980 wurden ganze drei beantwortet. Stattdessen beschloß das Kultusministerium der tschechischen Teilrepublik die Auflösung des Musikerverbandes und der Jazzsektion. Als die Sektion diese Beschlüsse nicht anerkannte, schaltete sich das Innenministerium ein und verbot 1984 und 1985 ebenfalls mehrfach die Organisation. Weil sich die Sektion immer legal verhalten hatte und deshalb keine Straftaten zur Begründung des Verbots herangezogen werden konnten, griffen die Behörden auf ein Gesetz zurück, daß es längst nicht mehr gab: Das Gesetz Nr. 126, mit dem in der Zeit nach 1968 die „Krisenphänomene“ bekämpft werden sollten. Es war ein befristetes Gesetz, das der damaligen Regierung die Möglichkeit geben sollte, je nach belieben konterrevolutionäre Organisationen aufzulösen, und alle, die sie dazu zählte. Mit diesem Gesetz verbot das Innenministerium der tschechischen Republik letztmalig am 22.10.1985 die Jazz–Sektion und den Musikerverband und verfolgte danach die Mitglieder der Organisation wegen unerlaubter Tätigkeiten. Die wehrten sich mit einer Klage gegen den Staat, die allerdings bis heute verschleppt wird. Selbst eine Verfassungsbeschwerde wurde daraufhin nicht behandelt. Während der Anwalt des Verbandes, Dr. Josef Pruscha noch immer um die Legalität der Sektion kämpft, verändern sich die Strukturen in der Sektion. Denn während bislang vieles offen diskutiert werden konnte, zwingen die Schnüffelaktionen des SNB dazu, vorsichtiger mit Informationen zu sein. Im letzten Mitgliederrundschreiben stellte sich eine Arbeitsgruppe vor, die vorübergehend die Geschäfte der Sektion übernehmen wird. Sie besteht aus „Aktivisten“, Leuten aus dem engeren Kreis der Sektion, die sich teilweise nicht kennen und damit die Arbeitsfähigkeit des Verbandes sichern. Wenn jetzt jemand verhaftet und verhört wird, erfährt der Staatssicherheitsdienst nicht sofort, was in der Sektion passiert. Nach der Verhaftung des Vorstands waren in den Druckereien alle Materialien der Sektion und die schon gedruckte Zeitschrift „Kopf der Medusa“ verschwunden. „Jetzt werden wir zwar auch weiterhin publizieren, aber habt bitte Verständnis, wenn wir nicht alle Interessen befriedigen können“, heißt es in dem Rundbrief zur weiteren Arbeit. Gleichzeitig wurden die 7.000 Mitglieder gewarnt: „Der SNB hat unsere Mitgliederkartei in die Hand bekommen. Jeder von Euch kann jetzt verhört werden. Ihr seit weiterhin Mitglieder der Sektion, aber ihr könnt selbstverständlich austreten, wenn Euch die jetzige Phase der Sektion zu gefährlich ist. Ansonsten werdet selbst aktiv.“ „Der Moloch der Stempel hat uns zum Glück nicht gefressen und wir haben uns nicht auf das goldene Kalb gesetzt“, beschreibt eine andere Publikation das Verhältnis zu den Behörden. Schwieriger ist es für die Gefangenen und deren Familien geworden. In einem Brief an den Präsidenten der Tschechoslowakei, Gustav Husak, baten die Frauen der Verhafteten um Freilassung ihrer Männer, weil es Schwierigkeiten mehr als genug gebe, mit den ökonomischen angefangen und mit der gesellschaftlichen Degradierung endend. Außerdem würden ihre Kinder im Alter zwischen 14 Monaten und 15 Jahren durch diese Situation psychologischen Schaden nehmen. Doch wie bislang üblich: keine Antwort. Auch die Grünen, die in einem Brief an Husak die Freilassung der Jazzer forderten, hörten bislang nichts aus Prag. Von den Gefangenen ist dagegen ein Brief aus dem Ruzine–Gefängnis in Prag in Umlauf gebracht worden, in dem Karel Srp schreibt: „Hier ist es wie in einem geschlossenen Krankenhaus, nur spricht man hier nicht über Krankheiten, sondern über die schwarze Chronik. Was soll man auch anderes machen? Weder bei Euch zu Hause noch bei uns im Knast werden deren Argumente etwas bewegen. Auch nicht die vermeintliche Publizität, mit der sie uns eine Pressekonferenz anboten, um ein Schuldbekenntnis abzulegen. Uns tut unsere Arbeit nicht leid, wir stehen dazu. Und anders werden wir auch nicht werden.“ Voll Ironie bat die Arbeitsgruppe die Jugend– und Musikzeitschriften der CSSR um Platz im redaktionellen Teil der Zeitungen, damit die Mitglieder auch nach der Verhaftung ihres Vorstandes und der Beschlagnahme von Materialien über die Arbeit der Sektion informiert werden könne.