P O R T R A I T Lothar Herbst

■ Der polnische Schriftsteller darf nicht zur Behandlung eines Augenleidens in den Westen

Im Westen war er schon oft, der Breslauer Schriftsteller und Dichter Lothar Herbst. Doch obwohl die Behörden ihm in den letzten Jahren wiederholt nahelegten, das Land zu verlassen, verzichtete der deutschstämmige Schlesier darauf, sich nicht mehr als Pole zu fühlen. Er blieb im Lande und schrieb seine Gedichte weiterhin in polnischer Sprache, seiner Sprache. Das brachte ihm in der polnischen Öffentlichkeit zwar Ruhm und Ehre, aber auch mehrere Gefängnisaufenthalte ein. Zuletzt verhaftete man ihn 1985 mit der Beschuldigung, zu „öffentlichen Unruhen“ aufgerufen zu haben. In seinem Arbeitszimmer an der Universität Breslau, an der er immer noch beschäftigt ist, „fand man“ Flugblätter, die zum Boykott von anstehenden Wahlen aufriefen. Bis zum März 1986 mußte er im Gefängnis bleiben - sein angegriffener Gesundheitszustand verschlechterte sich, vor allem eine Augenkrankheit machte ihm zu schaffen. Lothar Herbst ist jetzt in Gefahr zu erblinden, die Netzhaut seiner Augen löstsich ab. Obwohl er eine Einladung der Universitätsklinik in Lübeck besitzt, hat er am Freitag den negativen Bescheid von der Paßabteilung des Innenministeriums erhalten. Nach der Amnestie für Gefangene und der Herabsetzung der Strafen für politische Delikte, die am Freitag im polnischen Parlament veröffentlicht wurden, stünde es der Regierung Jaruzelski gut zu Gesicht, den Ausreiseantrag von Lothar Herbst noch einmal zu überprüfen. Erich Rathfelder Ein grauer Herbstmorgen, nackte Bäume, drahtumfasster Horizont, Augen die aus Mangel an Farben bleichen und Träume, die verbleiben und in die man in der Nacht flüchtet Alles wirbelt um die vier nackte Wände, wie dieser erste nasse Schnee hinter dem kleinen, vergitterten Fenster. Graue, kleine Welt. 13.11.85