Phoenix krabbelt aus der Asche

■ Die SPD läßt sich nach ihrem bayerischen Desaster vom Kanzlerkandidaten Rau optimistisch stimmen / Offenburger Parteitag prägt arbeitnehmerfreundliche Wahlkampfthemen

Aus Offenburg Tina Stadlmayer

Mit Baron von Finck, einem der reichsten Männer der Welt, wollte die SPD nicht unter einem Dach hausen. Als sich herausstellte, daß der Milliardär mit seiner Jagdgesellschaft im Hotel des Offenburger Kongreßzentrums nächtigen will, zog die SPD die Zimmerreservierungen für ihre Parteitags– Delegierten zurück. Ansonsten war von Klassenbewußsein auf diesem Wahlparteitag nicht viel zu spüren. Die SPD hat die Zügel nach der Bayern– Wahl herumgerissen. Sie setzt nun auf „Steuererleichterungen für alle Arbeitnehmer, vom Arbeiter bis zum Fabrikdirektor“, - das verkündete Johannes Rau am Vorabend des Parteitages vor der Presse. Obwohl die SPD–Oberen nach außen Einigkeit demonstrieren wollten, blieb am selben Tag auch nicht geheim, daß es einen Riesenknatsch um die Wahlkampflinie gegeben hat. Oskar Lafontaine soll von Rau verlangt haben, kämpferischer aufzutreten. Gespannt warten am Samstag dann auch alle auf den „neuen Rau“. Eine Trachtenkapelle versucht mit Humtata–Musik die Stimmung anzuheizen. Brüllend, mit hochrotem Kopf und die Faust immer wieder aufs Rednerpult schlagend zeigt zunächst Hans Jochen Vogel, wie ein aggressiver Wahlkämpfer auszusehen hat. Leider hört ihm kaum jemand zu. Im Saal stehen Delegierte und Journalisten in Grüppchen herum und unterhalten sich - je lauter Vogel brüllt, desto lauter werden die Gespräche. Dann tritt der Kan didat ans Rednerpult. „Unser Land braucht einen neuen Anfang. Unser Land braucht Erneuerung“, spricht er. Ein bißchen Prediger, ein bißchen Märchenerzähler, ganz so, wie wir ihn kennen. Allerdings: Rau wirkt bei seiner Rede verkrampft und angespannt. „Die Partei projiziert auf ihn, was sie selbst nicht leistet. Rau kann unheimlich gut Menschen im Gespräch überzeugen, aber er kann nicht klotzen“, flüstert Pressesprecher Torsten Teichert. Bodo Hombach, Raus Wahlkampfmanager (in letzter Zeit allerdings von den PR–Leuten in der SPD–Zentrale in den Hintergrund gedrängt) schaut unzufrieden drein und zerbricht nervös ein Streichholz nach dem anderen. „Er muß sich selbst treu bleiben. Wenn man ihm etwas aufzwingt, wird ein Bruch sichtbar.“ An manchen Stellen klingt Rau fast resigniert: „Freilich, ich hatte gehofft, der Nürnberger Parteitag wirke ansteckend. Die Wahl in Bayern war ein kräftiger Tritt vors Schienbein.“ Er wirkt damit jedoch glaubwürdiger als Hans–Jochen Vogel mit seinem gewollten „Jetzt erst recht!“. Alle seine dramaturgischen Register zieht Rau, als er von der Neuen Heimat spricht. Zuerst verkündet er leise und betreten: „Es gab Mißmanagement, und es gab sogar Schamlosigkeit.“ Dann schreit er: „Wo die Regierenden sozialpolitisch abzuräumen beginnen, da dürfen sich die Sozialdemokraten den Luxus feinsinniger Distanz zu den Gewerkschaften nicht leisten!“ Wenn dieses Bekenntnis mal nicht nach hinten losgeht... Der Kandidat streift in seiner Rede nur kurz die Themen Arbeitszeitverkürzung, Abrüstung, Sozialpolitik und Atom– Ausstieg. Hinter ihm prangen auf einer großen Tafel die Parolen, mit denen die SPD den Wahlkampf gewinnen will: „Gegen soziale Kälte, atomare Risiken und Wettrüsten bis ins All. Für ein gerechteres Miteinander, eine moderne Industriegesellschaft und Schutz für das Leben.“ Besonders ausführlich widmet sich der Kandidat dann seinem neuen Lieblingskind, der Steuerpolitik. Am Ende seiner Rede bietet Bruder Johannes eine Glanzleistung aus dem Rhetorikseminar für Pastoren: „Liebe Freunde, ein persönliches Wort zum Schluß: Es hat mich mal einer gefragt, warum ich von der Mehrheit träume, ich träume nicht von der Mehrheit, ich träume von einer gerechteren Welt.“ Kurze Pause. Und plötzlich brüllt er mit aller Kraft: „Deshalb kämpfe ich für die Mehrheit. Kämpft mit!“ Die Delegierten tun, was sich gehört: Sie klatschen stehend minutenlang Beifall. Wesentlich unsolidarischer sind da die Journalisten. Sie spötteln: „Rau war flau.“ Baron von Finck ist dann übrigens doch nicht ins Kongreß–Hotel eingezogen. Er wollte wohl seinerseits nicht mit der SPD unter einem Dach hausen. An seiner Stelle hat sich eine andere Organisation eingemietet: Zur selben Zeit wie die SPD tagte im Offenburger Kongreß–Zentrum der „Bundesverband gegen vorzeitige Altersbeschwerden.“ Wie passend.