Wem gehört die Friedenstaube?

■ 500.000 demonstrierten am Samstag in Rom für den Frieden / Papst Wojtyla ruft heute zum selben Zweck in Assisi zum ökumenischen Gebet / Aus Rom berichtet Werner Raith

Unter dem Motto „Meer, Himmel und Erde entwaffnen“ kamen in Rom fast eine halbe Million Menschen zusammen, um für den Frieden zu demonstrieren. Erstmalig haben dazu sowohl Italiens Ökologie– als auch die Friedensbewegung gemeinsam aufgerufen. Beide Strömungen liefen bislang getrennt, ganz im Gegensatz zur bundesdeutschen Praxis. Aber noch ein Dritter möchte den Einsatz für den Frieden für sich in Anspruch nehmen: Papst Johannes Paul II. hat Vertreter aller Weltreligionen nach Assisi gerufen, um gmeinsam für den Weltfrieden seiner Heimat Polen geht.

Die Trennung sitzt tief. Ansätze zu ihrer Überwindung sind rar: Während in der Bundesrepublik Friedens– und Öko–Bewegung ziemlich selbstverständlich sozusagen aus einem Holz geschnitzt sind, liegen in Italien Welten dazwischen. Für den ausländischen Betrachter um so erstaunlicher, als beide - Umweltschützer wie Pazifisten - in den letzten Monaten kraftvolle Lebenszeichen gaben. Besonders verwirrend: Wer bei den Blockaden der Nuklearzentralen vor zwei Wochen zuguckte und nun am Samstag bei der Friedensdemonstration der Fünfhunderttausend, sah oft dieselben Teilnehmer - die aber beides, Friedens– und Öko–Demo, für ganz verschiedene Dinge halten. Der Sprecher der Lega ambiente, Paolo Degli Espinosa, mußte den eher ungläubig zuhörenden Reportern bei der Friedensdemonstration am Samstag ein ums anderemal erklären, warum die Öko– Leute da mitmachen: „Weil die friedliche Nutzung der Kernenergie der kriegerischen entspringt und ihr zuarbeitet.“ Umgekehrt haben sich bei Grünen–Demonstrationen und Öko–Protesten kaum jemals offiziell Friedensgruppen beteiligt. Der Grund ist historisch: Während sich die Öko–Bewegung in Italien außerhalb der Parteien und der etablierten Machtorganisatio nen wie Gewerkschaften und Kirchen entwickelt hat, war die Friedensbewegung im Land seit eh und je der Politik eingemeindet. Nach dem Krieg schrieben nahezu alle Parteien „Pace“ aufs Banner; militant hochgehalten wurde er aber lange Zeit freilich nur vom PCI. Doch auch hier die langsame Erosion - als die UdSSR in Ungarn einmarschierte, geriet die Partei in eine mächtige Krise; seither, so die später abtrünnige „Il manifesto“–Gruppe um Rossana Rossanda, „wurden Friedens–Demos des PCI immer mehr zu einer ästhetisierten, folkloristischen Veranstaltung“. Heute ist die PCI–Isolierung, nach der Trennung von der Sowjet–KP, zwar aufgehoben (am Samstag marschierten auch PSI– Abgeordnete und sogar ein DC– Minister mit den PCI–Größen voran), aber die alte Überzeugungskraft fehlt weiterhin. Dennoch ist der Friede weiterhin sozusagen einander zugestandenes Eigentum der Parteien. Keine Struktur Anders die Öko–Bewegung: die haben die Politiker total verschlagen; in den großen Parteien sind die Zuständigkeiten für Umwelt– Angelegenheiten noch auf ein halbes Dutzend und mehr Abteilungen verstreut, ein Ministerium da für gibt es erst seit drei Monaten. Auch die außerparlamentarischen Öko–Gruppen haben bisher noch keine kompakte Struktur: Die Grünen, wiewohl in vielen Stadträten und Regionalparlamenten vertreten, sind nur eine unter einer ganzen Anzahl von Öko–Gruppen (wie die Lega ambiente, Italia nostra, Amici della Terra, etc.) Langfristige Gespräche zwischen Friedens– und Umweltschutzgruppen sind daher auch entsprechend schwierig. Nur wenige Grüne vereinigen beides so wie der lombardische Grünen–Regionalabgeordnete Sergio Andreis, der für seine Kriegsdienstverweigerung schon vor zehn Jahren 18 Monate abbrummen mußte (bis vor zwei Jahren war KDV in Italien ein Verbechen). Wojtyla–Spektakel Vielleicht hat die Demo am Samstag die Verbindung beider Strömungen ein wenig vorangebracht - Hoffnung geben dabei die vielen Nichtorganisierten, die dem Ruf der Organisierten gefolgt waren und sie stellenweise sogar majorisierten. Doch da ist noch ein Faktor, der vielen quer im Halse steckt: Er heißt Karol Wojtyla und sucht, als Papst Johannes Paul II., seit Monaten um jeden Preis den Frieden für sich zu pachten. Heute wird in Assisi, nach sonntäglichem Gebet, ein weltweiter Friedenstag ausgerufen; Teilnehmer am Wojtyla–Spektakel sind u.a. der Dalei Lama (der in einer Pressekonferenz in Rom vergeblich gegen Wojtyla Kontur anzunehmen versuchte), dazu eine Reihe mohammedanischer, jüdischer, hinduistischer Repräsentanten (auch angereist, ziemlich unerwünscht, ein Abgesandter des unverwüstlichen Mephistopheles Ghaddafi). Der päpstliche Aufruf, heute die Waffen schweigen zu lassen, hat in Chile und Sri Lanka ein positives Echo gefunden - jedenfalls auf Seiten der Guerillas. So will die „Patriotische Front Manuel Rodriguez“, die Anfang September beinahe Diktator Pinochet ins Jenseits beförfert hätte, eine eintätige Pause einlegen, und auch die stärkste Guerilla der tamilischen Separatisten, die „Tamil Tigers“, obwohl in einer hinuistisch geprägten Region beheimatet, wollen dem obersten Katholiken leisten.PCI–Obere wie der Presse– Beauftragte Massimo DAlema finden zwar die Papst–Initiative „hervorragend“, aber irgendwie sind ihnen die zusammengebissenen Zähne doch anzusehen - der Stoßtrupp der ACLI, der katholischen Arbeiterbewegung, hat sich in Rom bei der Demo schon allzudeutlich als Rekrutierungsorgan bemerkbar gemacht: „Dies ist ... eine politische Sache“, tönte der Vorsitzende Domenico Rosati, „und am Montag geht es um Religion: Wir müssen bei beidem präsent sein und mitgestalten.“ Einig sind sich „Laien“ in der Friedens– und der Ökobewegung jedenfalls darin, daß der Papst sicher nicht die Integrationsfigur für die beiden Bewegungen sein wird. „Eher wird am Ende die Friedensbewegung gespalten“, sorgte sich bei der römischen Demo Carlo vom „Comitato per la pace“ aus Assisi. „Vielleicht“, sinniert er dann weiter, „ist das aber auch der Sinn des Ganzen?“