Die Verhaftung der gefährlichen Gedanken

■ Der neue Paragraph 130a richtet sich nicht gegen Taten, sondern gegen die Formulierung von Gedanken / Ausweitung des 129a hat gefährliche Folgen für Anti–AKW–Bewegung / Blick zurück im Zorn auf die Debatte um 88a und 130a Anno 1976

Aus Bonn Oliver Tolmein

Rein ins Gesetzbuch, raus aus dem Gesetzbuch - das politische Strafrecht der BRD wird aller Voraussicht nach mit dem neuen „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Terrorismus“ wieder auf den Stand von 1979 gebracht und noch ein kleines aber verheerendes bißchen verschärft werden. Für die weitere Kriminalisierung der Aktivitäten radikaler linker Gruppen werden dabei die Verschärfung und Erweiterung des Paragraphen 129a (Bildung terroristischer Vereinigung) und die Wiedereinführung des (überarbeiteten) Paragraphen 130a (Anleitung zu Straftaten) folgenreicher sein als die sogenannte Kronzeugenregelung. Die Erweiterung des Paragraphen 129a um die Tatbestände „gefährliche Eingriffe in den Bahn–, Schienen– und Luftverkehr“ sowie „Störung öffentlicher Betriebe“ (beispielsweise durch Umsägen von Strommasten) hat Konsequenzen für eventuelle Prozesse, Kontaktsperrgesetz, die gesetzliche Pflicht zur Denunziation (die auch für Anwälte gilt), die Möglichkeit des Verteidigerausschusses können dann auch gegen militante AKW–Gegner eingesetzt werden. Außerdem steht bei diesem „Ermittlungsparagraphen“ nicht die Verurteilung im Vordergrund, sondern sein Abschreckungswert und die Möglichkeit, durch Hausdurchsuchungen beispielsweise, das „Protestmilieu“ möglichst weit auszuforschen - beides wird durch die Ausweitung der Straftatbestände erleichtert. Eine schleichende Verschärfung des politischen Klimas wird dagegen, wie ein Blick zurück im Zorn zeigt, durch die Wiedereinführung des 130a betrieben. „Die Berichterstattung zum Beispiel über revolutionäre, anarchistische, kommunistische Propagandaaktionen, die Gewalt befürworten, soll zukünftig straffrei bleiben. Allenfalls ein paar ungeschicktes Krakeeler und Pamphletisten, nicht aber die wirklich einflußreichen, gefährlichen und raffinierten Gewaltbefürworter können nun erfaßt werden.“ Der Abgeordnete Spranger (CSU) mochte am 16. Januar 1976 seinen Unmut nicht zurückhalten. Der von der SPD/FDP–Koalition eingebrachte Entwurf für das 14. Strafrechtsänderungsgesetz - in dem die Neueinführung des § 88a (verfassungsfeindliches Befürworten von Straftaten) vorgesehen war - ging nicht weit genug. Der Entwurf seiner eigenen Fraktion - das „Gesetz zum Schutz des Gemeinschaftsfriedens“ - wollte gegebenenfalls auch die Befürwortung von Gewalt in künstlerischen und literarischen Werken unter Strafe stellen. Außerdem wünschten sich die Konservativen, bereits die „Androhung von Gewalt“ strafrechtlich verfolgen zu können. Aber auch was von SPD und FDP beschlossen wurde reichte aus, eine folgenreiche Kriminalisierungskampagne in Gang zu setzen: Buchhandlungen wurden durchsucht, Bücher wie Franz Mehrings „Deutsche Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts“ beschlagnahmt, in der Stuttgarter Fantasia–Druckerei „verhaftete“ die Staatsgewalt zwei Druckmaschinen, weil sie „in der Hand der Einziehungsbeteiligten die Gefahr der weiteren Störung der Rechtsordnung mit sich bringen“, wie der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes wissen ließ. Bemerkenswert an der verabschiedeten Version des 88a war, daß nicht - wie sonst im Strafrecht üblich - eine begangene Tat bestraft wurde, sondern bereits deren Befürwortung für ein Urteil ausreichte. In der Fachliteratur werden 88a und der eng damit zusammenhängende 130a deshalb auch als „Kommunikationsdelikte“ geführt. Die Gedanken bleiben frei, gerinnen sie aber zum Wort, können sie strafrechtlich verfolgt werden. Die §§ 88a und 130a erhöhen das Risiko der Artikulation und der Organisation von fundamentalem Dissens mit den Herrschaftsinstanzen“, formulierte Sebastian Schaerer in seinem Aufsatz „Gesetzgebung im Belagerungszustand“. Zur Erhöhung des Artikulationsrisikos trägt bei, daß es keine „objektive“ Meßlatte gibt, mit der feststellbar wäre, wie seine Äußerungen verstanden werden können. Ob ein Interview beispielsweise als Befürwortung von Gewalt oder als Anleitung zu einer Straftat interpretiert werden kann: Wie auslegbar der Begriff „Befürwortung“ ist, wurde bei der Diskussion im Rechtsausschuß am 2. Oktober 1975 offenbar: „Erstens gibt es die Befürwortung in der Form der indirekten Aufforderung, zweitens Befürwortung in der Form scheinbarer Distanzierung, drittens die Be schreibungen strafbarer Handlungen mit Nachahmungstendenz, viertens Befürwortung in Form der Billigung eines historischen Ereignisses in der Absicht, es als nachahmenswertes Vorbild hinzustellen, fünftens...“. Der Phantasie der Legislative waren keine Grenzen gesetzt, schließlich galt es, Gesetze gegen Leute zu schaffen, die sich „bei der Propagierung von Gewalt komplizierter und ausgeklügelter psychologischer Mechanismen bedienen“, wie der SPD–Abgeordnete Müller–Emmert warnte und die „Schaffung eines psychischen Klimas, in dem schwere Gewalttaten gedeihen“ zu stoppen, wie der damalige Justizminister Vogel argumentierte. Was der Gesetzgeber allerdings nicht vorausgesehen hatte, war der erhebliche Protest, der sich vor allem gegen den Paragraphen 88a entwickelte: Nicht nur beim 3. Internationalen Russell– Tribunal zur Situation der Menschenrechte in der BRD wurde der Staatsschutzparagraph als Zensurmaßnahme angegriffen. Demgegenüber kam es trotz 111 Ermittlungsverfahren lediglich zu sechs Verurteilungen, so daß die Bundesregierung auf Initiative der FDP die Abschaffung des Paragraphen 88a befürwortete, weil „die Vorschrift ihr kriminalpolitisches Ziel, die Entstehung einer allgemeinen Neigung zur Gewaltanwendung zu verhindern, nicht erreichen (konnte)“. Da der Paragraph 130a nur für ein einziges verfahren herangezogen wurde, stand auch seiner Abschaffung nichts im Wege. Im Februar 1981 wurden mit dem 19. Strafrechtsänderungsgesetz gegen die Stimmen der CDU/CSU und gegen den Widerstand des Bundesrates beide Paragraphen wieder abgeschafft. Seidem haben CDU und CSU mehrere Vorstöße zur Widereinführung der Bestimmungen unternommen. Zuletzt, zwei Wochen vor dem Anschlag auf Gerold von Braunmühl, hat das Land Bayern den „Entwurf eines Gesetzes zur Gewährleistung der rechsstaatlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit“ in den Bundesrat eingebracht. Neben Vermummungsverbot und Verschärfung des Landfriedensbruchparagraphen wird dort auch der Paragraph 130a in einer ganz alten, weitreichenden Form vorgeschlagen. Befürwortung und Anleitung zu Straftaten sollen demnach mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden. Die Einschränkung des alten 88a, daß sich die Befürwortung auf Straftaten beziehen müsse, die sich „gegen den Bestand oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richten“, ist darin nicht enthalten. Da ist sogar der für den Bundestag bestimmte Entwurf der Koalitionsparteien moderater: der dort konzipierte Paragraph 130a richtete sich „nur“ gegen „die Anleitung zu Straftaten“, also nicht gegen die weitergehende Befürwortung. Er ist fast wortgleich mit dem „alten“ 130a. Gedacht sei dessen Wiedereinführung, so der CSU–Abgeordnetete Fellner, um beispielsweise ein Interview wie das von der taz mit „revolutionären Heimwerkern“ über das Strommast–Knacken künftig strafrechtlich verfolgen zu können. Ob die gesetzliche Bestimmung dafür ausreicht, ist zu bezweifeln. Der konservative Strafrechskommentator Schönke– Schröder jedenfalls führt zum alten 130a aus: „Nicht ausreichend für seine Anwendung sind die nicht zum Zwecke der Anleitung erfolgende bloße Schilderung von Verbrechen der genannten Art, selbst wenn dabei präzise Angaben über Art und Weise ihrer Ausführung gemacht werden.“ Aber auf die Verurteilung, das machte der Widerstand der CDU/ CSU gegen die Streichung der 88a und 130a deutlich, kommt es ihnen erst in zweiter Linie an. Eine größere Rolle spielt für sie die als Prävention bezeichnete Wirkung im Vorfeld - freiwillige Selbstkontrolle der Schreiber, Drucker und Verkäufer.