Dem Zeitgeist verschlug es die Sprache

■ Zeitgeist–Redakteur Wolfgang Maier erhielt einem Platzverweis / Alice Schwarzer: Pornographie ist „Kriegspropaganda“ gegen Frauen

An diesem Abend hatte Alice Schwarzer die Frauen auf ihrer Seite. Ermöglicht wurde das von einem jungen, dicken Herren im dunklen Anzug, der ausgezogen war, das Fürchten zu lernen: Wolfgang Maier (29), Chefredakteur der Zeitschrift Wiener, im Streitgespräch mit Alice Schwarzer (43, Emma). Der Titel dieser letzten Veranstaltung im Rahmen des Berliner Symposiums Gewalt gegen Frauen hieß: Pornographie im Zeitgeist. Ob Herr Maier das Fürchten gelernt hat, bleibt dahingestellt. Auf jeden Fall hatte er keine Lobby im überfüllten Saal des Berliner Reichstags, wo sich an die fünfhundert Frauen drängelten, die paar anwesenden Männer mal nicht mitgerechnet. Er trug angesichts dieser weiblichen Übermacht seine kläglichen Argumente zaghaft vor und ließ sich von Frau Schwarzer in aller Demut über den Mund fahren. Auf die Kernthese Schwarzers, daß nämlich der Zeitgeist von den Frauen heute mehr Erniedrigung und Unterwerfung als vor zehn Jahren verlange und daß Zeitungen wie der Wiener mit ihren gewaltpornographischen Fotos genau diesen Zeitgeist transportieren, wenn nicht gar ins Leben rufen, reagierte Maier gar nicht. Stattdessen ließ er sich über Pornographie aus und definierte sie schließlich als sexuellen Stimulans überhaupt. Er behauptete, mit seinen die Frauen entwürdigenden Fotos würde der Wiener Männerphantasien zeigen, wie sie wirklich sind - was nicht verkehrt sei, weil darin Persönliches nicht unterdrückt werde, sondern Beachtung fände. Eine Diskussion zwischen den beiden Eingeladenen fand nicht statt. Maier bedauerte ein Aneinandervorbeireden, Schwarzer dagegen sprach Klartext. Sie nannte diese Form der Pornographie „Kriegspropaganda“ gegen Frauen. Sie gab Beispiele der Wiener–Abbildungen: gefesselte Frauen, nackt in der Badewanne oder draußen, mit Rasierklingen, halb in Mülltüten verpackt, mit glänzenden hochhackigen Pumps an den Füßen. Oder mit Kabel gefesselt an Badezimmerarmaturen, mit Tanga bekleidet, auf jeden Fall nackt und bloß. Diese Bilder seien unter progessivem Mäntelchen zunehmend möglich, immer noch suggerierend, daß es sich dabei um emanzipierte Frauen handle, die, allerdings ein wenig magersüchtig, gazellengleich ihre letztendlich doch bewiesene Schwäche demonstrierten. Entstehen würden diese Männerwünsche, gerade weil Frauen sich heute nicht mehr soviel gefallen lassen. In diesen „Trendblättern“ wie der Wiener werde eine Doppelstrategie gefahren, die einerseits Frauen als „schein“–emanzipiert präsentiert, andererseits aber die zunehmende Entwürdigung der Frau vorantreibt. Der Wiener sei ein Blatt, das von Aufsteigern mit einer gewissen Bildung gelesen werde. In jeder linken Buchhandlung läge er aus Ab und zu ist so gar ne Anzeige in dieser unserer lieben taz zu finden. die k.. Um ihren Argumenten die richtige Kraft zu geben und um die „Hetzpropaganda“ gegen Frauen zu verdeutlichen, zog Schwarzer folgende Parallele: Ein Zeitgeist–Magazin, das in linken Buchläden verkauft wird, zeigt einen „nackten gefesselten Neger, der ausgepeitscht wird, oder einen Juden mit Judenstern, der die Herrenmenschenstiefel ableckt“. Das sei heute unmöglich. Mit keiner anderen Bevölkerungsgruppe könne das gemacht werden. „Türken, Juden, Zigeuner und alles, was als minderwertig bezeichnet würde“, stehe heute unter besonderem gesellschaftlichen Schutz. Zwischendurch warf Maier hin und wieder mal etwas ein, z.B. daß Frau Schwarzer hier Propaganda betreiben würde. Aber keine hörte auf ihn, bis er schließlich mit einem danebengegriffenen Beispiel den verhaltenen Zorn und die im Stillen schon brodelnde Hysterie der Anwesenden gegen sich schürte. Harmlos tat er die ganze Zeit, naiv und in seinem Nicht–begreifen–Wollen und Wir–wollen– doch–eigentlich–dasselbe–Frau–Schwarzer hatte er sich vor scharfen Angriffen gerettet. Jetzt, als er das falsche Karnickel aus seinem Hut zog, war es aus mit ihm. Er hatte einen Mann ins Düsseldorfer Frauenhaus geschickt, für eine Reportage, die anders sein sollte als die einer Frau. Was er als Good will demonstrieren wollte, schlug ins Gegenteil um: Er gab vor, aus rein journalistischem Interesse gehandelt zu haben, aber das konnte ihm keine im Saal abnehmen. Im Gegenteil, Frau Schwarzer hielt ihm vor, genau gewußt zu haben, was er bezweckte. Es sei einfach „pikant“, wenn ein Mann ins Frauenhaus gehe. Maier verschlug es die Sprache. Und Schwarzer meinte ironisch, die gute alte Zeit der „Rüschenpopos von Nannen“ loben zu müssen, und zeigte beinahe Verständnis für die „verschwitzten Kerle, die in der Ecke ein Pornoheftchen lesen“. Zensur müsse da angesetzt werden, wo es die Menschenwürde angreife, sie sei für die Freiheit, aber nicht für die Freiheit antisemitischer oder rassistischer Propaganda. Sexistische Hetzpropaganda sei genauso zu bewerten und zu zensieren. Im Saal ist es inzwischen laut geworden. Die Frauen fordern Maier auf zu gehen. „In die Mülltüte mit dir“, schreien welche, „Raustreiben“ forderten andere. „Er soll abhauen“, ist der Konsens. Jetzt hat die Stimmung etwas Bedrohliches. Die Veranstalterinnen und Alice Schwarzer müssen betonen, daß Maier eingeladen wurde und daß er unbehelligt bleiben muß. Um das sicherzustellen, führt Alice Schwarzer den ziemlich mitgenommen aussehenden Wolfgang Maier aus dem Saal. Immer an der Wand entlang und die Rückseite seines Oberarms tätschelnd. Maria Neef–Uthoff