Die Macht der Überzeugung

■ Bayerische Sozialdemokraten glauben Bundestagswahl noch nicht verloren / Bayern–Wahlergebnisse einfach optimistischer interpretieren / Aufsteiger und technische Intelligenz zukünftig als neue Zielgruppen anvisiert

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Rechenschieber und Taschenrechner machens möglich. „Die CDU/CSU/FDP–Koalition hat noch lange nicht gewonnen“, verkündet der Chef der bayerischen Sozialdemokraten Rudi Schöfberger nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei in Nürnberg 90 Tage vor der Bundestagswahl. Die bayerische SPD sei zwar über ihre vernichtende Niederlage bei den Landtagswahlen am 12. Oktober (27,5 gehe jedoch „mit Mut und Zuversicht in den Bundestagswahlkampf“. Schöfberger, der noch in der Wahlnacht die für 1990 prophezeite Machtübernahme im Freistaat auf unbestimmte Zeit verschoben hatte, präsentiert sich dabei als Meister der Zahlenakrobatik. Verlierer der Landtagswahlen sind demnach plötzlich die Koalitionsparteien. Deren Stimmen verluste addieren sich auf 763.000 (CSU 761.000 und FDP 2.000), während die Bonner Oppositionsparteien unter dem Strich nur knapp 465.000 Stimmen verloren hätten (SPD 759.000, Grüne 294.000). Damit ist für den roten Rudi, der seit September letzten Jahres Vorsitzender der weißblauen SPD ist, alles klar. Die Hoffnung, die bayerische Scharte wieder auszuwetzen und zum Wahlsieg der SPD beizutragen, ruht auf den rund 360.000 sozialdemokratischen Stammwählern, die diesmal zu Hause geblieben sind, und auf den SPD–Genossen, die aus Spaß an der Freud grün gewählt haben. Angesichts der Gewinne für die Grünen und die rechtslastigen Republikaner hält Schöfberger den 12. Oktober sowieso für einen schwarzen Tag für die Demokratie, der sich am 25. Januar nicht wiederholen werde. Nicht eine Änderung der Inhalte, sondern der Darstellung der SPD sei jetzt gefragt. Ansprechpartner für einen „prächtigen Überzeugungswahlkampf“ sind insbesondere Jung– und Erstwähler, Frauen, soziale Aufsteiger und die technische Intelligenz, die der SPD als Quittung für ihre Haltung zu Kernenergie und WAA den Rücken gekehrt hätten. Die Landtagswahl habe gezeigt, daß man neue Armut im Wahlkampf nur schwer thematisieren könne, wenn sich nur 3 Arbeitslose als Mittelstand einstufen. Wenn die Regierungskoalition jetzt die Wahl mit einer Law–and– Order–Politik gewinnen will, müsse die SPD sie dort angreifen. „Wir dürfen mit dem Kronzeugen nicht das Ende des Rechtsstaates nahen sehen, sondern müssen offensiv verkünden, daß es Sozialdemokraten waren, die die erste und zweite Generation der RAF eingebuchtet haben.“ „Da können in Stadelheim sechs Mörder ausbrechen und niemand verlangt den Rücktritt des bayerischen Justizministers“, lamentiert Schöfberger über die Unbeweglichkeit der bayerischen Sozialdemokratie, die nun ein Ende haben soll.