Weitab vom Krieg - Gerede über Frieden

■ Repräsentanten der Menschheit trafen sich in Assisi / Schiiten, Sunniten, Mohammedaner, Sikhs, Hindus und Christen beteten für den Frieden in einer Atmosphäre drückender Verantwortung

Aus Rom Werner Raith

Das Wichtigste bei solchen Gelegenheiten sind die Zeremonienmeister; gäbe es sich nicht, wer weiß, wo der Weltfriede - bzw. bescheidener, das Gebet für ihn - am 27. Oktober geblieben wäre. So aber leiten sie, unterstützt von einem Heer Walkie–Talkie–bewaffneter Ordner, die federgeschmückten Indianer und die tücherbehangenen Tibetaner, die langbärtigen Russen und die am schweren Segnungsstab einherschreitenden Massu zu ihren Plätzen. Bedacht darauf, daß kein religionspolitsches Übergewicht entsteht, denn auf dem Podium der Piazza San Francesco in Assisi ist jeweils nur eine genau festgelegte Anzahl von Vertretern der einzelnen Religionsgruppe zugelassen - insgesamt zwölf sind es, „Repräsentanten von vier Fünfteln der Menschheit“, wie Radio Vatikan verkündet. Die Religionsführer dürfen vor dem Mikrophon jeweils fünf Minuten für den Weltfrieden beten, dann hält der Papst, abgegrenzt von allen durch sein weißes Gewand, eine Rede - die alle Majorisierungsklänge vermeidet, aber dennoch klarmacht, daß von ihm (nicht von der Katholischen Kirche) der Weltfriede ausgeht, zumindest heute. Verwirrung stiftet freilich so manches hier. „Dies ist ein religiöser Tag und nur ein solcher“, erklärt er feierlich vor den Gebeten der Zwölf der Organisationsleiter. Seltsam - oder sah man da doch den italienischen Außenminiser Andreottti, zweifellos kein Priester? Natürlich - er hat einen Brief des Staatspräsidenten Francesco Cossiga zu verlesen. Auch die Botschaft Präsident Reagans, Staatspräsident Mitterrands und so weiter werden gerne und laut herumgereicht; es ist, natürlich, ein politisches Fest und nichts anderes. Die Idee zu einem Weltwaffenstillstand soll dem Papst angeblich ganz spontan am 4. Oktober in Lyon gekommen sein. Kirchenhistoriker kommen da natürlich sofort Präzendenfälle ins Gedächtnis - im Mittelalter war es gute Papstgewohnheit, bei allzu ausufernden und langwährenden Kriegen einen „Waffenstillstand Gottes“ auszurufen: Der wurde ausgerufen, er sollte alle Kriege auf einmal beenden. Wojtyla–Kritiker vermuten, daß der Papst sich nicht darauf einlassen will, im Jahr 2000 noch zu leben, und seinen Appell daher vorgezogen hat ... Das ist natürlich üble Nachrede und manche Kritik, die auch hier in Assisi am bühnengerechten Auf zug der Veranstaltung geübt wird, ist sicherlich hoffnungslos überzogen. Kein Zweifel: diesem Papst und seinen Kollegen aus den Weltreligionen ist es ernst, wenn sie um Frieden beten. Fraglich freilich, was sie darunter verstehen. Fernab der Heimat läßt sichs trefflich verbrüdern - die Schiiten mit den Sunniten, Ghaddafis Abgesandte mit dem Vertreter des Judentums, die Christen des Libanon mit den Mohammedanern, die Sikhs mit den Hindus. Enthusiastisch - mit noch lauterem Applaus als die Papst–Ankunft selbst - wird von den Gläubigen in Assisi die Nachricht von Radio Vatikan aufgenommen, daß der Friedensappell in großen Teilen der Welt befolgt worden sei (was der Heilige Stuhl schon um vier Uhr nachmittags weiß, zehn Stunden vor Ablauf des Tages...): Entgegenstehende Meldungen des italienischen Rundfunks erklären die Offiziellen und Offiziösen kurzerhand zu „vereinzelten, nicht von den politischen und militärischen Führungen zu verantwortenden Ausnahmen“. Keine Chance hat da die sicher ehrlichere Formel, die einige Franziskaner (in Assisi sozusagen „Hausherren“) vorschlagen: „Welch ein immenser Erfolg, welche herrliche Rettung Tausender von Menschenleben ist doch bereits ein Waffenstillstand von einigen Stunden in einem Zehntel der Kriege!“ Für Bescheidenheit ist hier nicht der Ort - es soll der ganze Friede sein, in der ganzen Welt. Ungünstig aufgenommen werden unsere Fragen auch bei den angereisten Würdenträgern der Kirchen - nach den Menschen, die sie ihrer Meinung nach wirklich repräsentieren - die Armen ihres Landes, die Herrscher, die Soldaten ihrer Truppen - oder auch die der Feinde? Fragen nach der „Theologie der Befreiung“ - zu deren wichtigsten Vertretern der vatikanisch gescholtene Franziskaner Leonardo Boff gehört - sind inopportun, ebenso Erkundigungen nach dem „gerechten Krieg“, den der Papst in seinen Reden verteidigt hat. Der Gegensatz zur Friedensdemonstration in Rom vom vergangenen Samstag ist in vieler Hinsicht beeindruckend. War es in Rom vor allem die Jugend (genau die, an die sich der Papst in seiner langen Botschaft immer wieder wendet), so folgen dem „Pellegrinaggio“, dem Marsch von der oberen zur unteren Basilica in Assisi vor allem ältere Menschen. Weitab die praktische Radikalität des „Raus aus NATO und Warschauer Pakt“ der Demonstranten von Rom; hier wallt eher weltschwere, doch überwiegend abstrakte Verantwortung. Fern aber auch die Glaubwürdigkeit des Jugendprotestes von Rom - so mancher auch hier in Assis sieht nicht nur die Katholische Kirche, sondern auch andere Religionen verwickelt in die Machenschaften der Herrscher, der Kriegsführer selbst. „Was könnte dies alles hier bedeuten“, sinniert ein Franziskaner neben mir in einem Winkel der Straße zur Piazza San Francesco, „wenn dieser Papst nicht seine Glaubwürdigkeit durch zuviel Theater längst verspielt hätte.“ Die Trauer über das weltweite Morden, die man eigentlich von den Friedensappellierern auf dem Podium erwartet hätte, steht dem Padre aufrichtig ins Gesicht geschrieben. „Vielleicht“, vermutet er, „hätten ihn dann mehr Leute erhört, die Russen zum Beispiel.“ Und nach einer Weile: „Vielleicht hätte dann aber Reagan seinen Contras in Nicaragua keinen Waffenstillstand befohlen.“ Für den Jünger des Friedenssymbols Franziskus war der Weltwaffenstillstand am Ende wohl eher verwirrend denn erlösend.