Hanseatisch kühl, aber nicht ohne Brisanz

■ Am 9. November machen sich die Hamburger auf den Weg zu den Wahlen / Ein Wahlkampf ohne „heiße“ Phase, aber mit verdeckten Sensationen: Grüne erstmals mit Frauenliste / DKP wählt Grün / FDP liebäugelt mit der SPD / SPD will als hanseatische CSU reüssieren / CDU hofft auf die Deutsche Bank

Aus Hamburg Florian Marten

Wer jetzt nach Hamburg reist, findet zwar allerlei Wahlplakate, Schmuddelwetter, arbeitslose Werftarbeiter und Autoabgase, doch wenig von heißer Wahlkampfstimmung. Der Schein trügt. Im Dezember 1982 war der SPD nach einer bösen Juni–Wahlschlappe (erstmals überrundete die CDU die Sozis, die Grünen zeigten sich als zähe Verhandlungspartner) ein triumphaler Erfolg gelungen: Mit 51,3 Prozent errang sie eines ihrer besten Ergebnisse überhaupt, verbannte die CDU in deren traditionelles 40 Prozent–Getto, die FDP ins Splitterparteien–Nirwana von 2,6 Prozent wenn Nirwana so einfach zu erreichen wäre, wärs ja schön, d. s–in und die GAL auf unvermeidliche 6,8 Prozent. Gute absolute Regierungsvoraussetzungen: Die Bonner Wende–Koalition konnte man für alles wirtschaftlich–sozial Böse verantwortlich machen, Stadtchef Dohnanyi kam öffentlich immer besser an, seine grauen Eminenzen entmachteten gnadenlos und radikal wie nie zuvor den linken Flügel der Partei. Die Opposition war recht harmlos bis zum Bemitleiden und links unbequem, aber klein. Umweltskandale, Sparkurs, Filz und der „Kessel“ Doch dann ging vieles schief: Umweltskandale (Giftkippe Georgswerder, Dioxinschleuder Boehringer und die Arsenhütte Norddeutsche Affinerie) brachten die Stadt in die Schlagzeilen, die Arbeitslosenquote explodierte, innerhalb weniger Jahre wurde aus dem statistischen Schlaraffenland Hamburg die Sozialhilfe–Hochburg der Nation. Erfolge blieben aus: Der rigorose, von keinem CDU–Land übertroffene Sparkurs konnte die Verschuldung nicht bremsen, der Sozialabbau brachte Unruhe in die Stammwählerschaft. Schließlich entlarvten fünf parlamentarische Untersuchungsausschüsse (Georgswerder, Neue Heimat, Strafvollzug, Müllabfuhr, Krankenhaus) durch ihre teilweise beachtliche Arbeit Hamburgs politischen Apparat bis ins Mark: Filz, Unfähigkeit bis zur Kriminalität, politische Führungsschwächen, ökologische und wirtschaftliche Sauereien. Zuguterletzt dann noch der „Hamburger Kessel“ (rechtswidrige Einkesselung von knapp 1.000 Demonstranten über zwölf Stunden lang) und der von SPD–Strategen als „Beinahe–GAU“ bezeichnete NH–Verkauf an Bäcker Schiesser (in Hamburger NH– Wohnungen leben acht Prozent der Wähler). Doch das Wahlvolk zeigte sich von alledem ziemlich unbeeindruckt, zumal dann, wenn es von INFAS–Meinungsforschern heimgesucht wurde. Gemeinsame Botschaft aller Umfragen der letzten Monate: Die SPD hat einen leichten Schwächeanfall, vertraut wird ihr aber nach wie vor. Beispiel: Direkt nach dem NH–Verkauf nannten 60 Prozent der Befragten die SPD als besten Garant für billigen Wohnraum (CDU: 14 Prozent, GAL: sechs Prozent). In allen wichtigen Kompetenzfeldern liegt die SPD vorn, sogar in Umweltfragen rangiert sie leicht vor der GAL. Bürgermeister Dohnanyi wird von 55 Prozent der Befragten als neuer Stadtchef gewünscht, sein CDU–Kontrahent Major Hartmut Perschau bringt es auf lächerliche 22 Prozent. Die Umfragen machen der SPD Mut. Trends: SPD: 46 bis 49, GAL: 8 bis 10. Die Situation ist dennoch offen. Ob drei oder vier Parteien ins Parlament einziehen werden, ob die SPD die absolute Mehrheit der Mandate schaffen wird, kann derzeit niemand sagen. Ziemlich ausgeschlossen scheint jedoch, daß eine schwarz–gelbe Koalition die Mehrheit der Mandate erringen wird. In Sorge um die Stammwähler Der SPD–Wahlkampf zielt auf die absolute Mehrheit. Da man keine Erfolge vorzuweisen hat, lautet das Motto: „Dohnanyi für Hamburg. Hamburg für Dohnanyi.“ Über diesem Spruch thront, vieltausendfach plakatiert, ein gütig lächelnder Stadtvater, das Kinn in die Hand gestützt, dahinter edles Mahagoni. Seine Botschaft: Wir haben zwar auch Fehler gemacht, in Hamburg gibt es aber nichts Besseres als die SPD. Die GAL wird abgetan und seit den Brokdorf–Demonstrationen gezielt für die Gewalt in der Stadt verantwortlich gemacht. Das „Defensiv–Thema“ Neue Heimat geht man still und leise an: Hausbesuche in den 42.000 Wohnungen. Aggressiv reagiert man auf das einzige Aktiv–Thema der CDU, die „Innere Sicherheit“: 300 Polizisten begleiten nach 22 Uhr U– und S–Bahnen. Mit unglaublicher Härte läßt Innensenator Pawelczyk (er kam für den über den „Kessel“ gestürzten Rolf Lange) seine Beamten gegen Wohnprojekte und Ausländer losziehen: Prügelnd vertrieben hohe Polizeioffiziere hungerstreikende Asylanten, die eine Petition in der Innenbehörde überreichen wollten. Letzten Samstag räumten 650 Beamte ein von 20 Menschen besetztes leerstehendes Neue Heimat–Haus, am Dienstag ließ der Innensenator auf juristisch völlig ungesicherter Grundlage die ehemals besetzten, seit geraumer Zeit legal vermieteten Häuser in der Hafenstraße räumen. Letzter Wahlkampfclou: Der mäkelnden CDU wirft Dohnanyi vor, sie setze das Ansehen der Stadt öffentlich herab. CDU–Perschau sei „neidisch“, ein vaterstadtsloser Geselle also. Dohnanyi: „Hamburg ist schön, stark und erfolgreich. Dies ist doch unsere gemeinsame Stadt.“ Die größte Sorge der Sozialdemokraten: Ein großer Teil der Stammwählerschaft könnte zuhause bleiben. Die CDU hat dem wenig entgegenzusetzen. Ihr Kandidat Perschau ahmt erfolglos den Bürgermeister nach, gegen die hanseatisch–dezente Variation des CSU–Wahlkampfes auf sozialdemokratisch (Dohnanyi über Strauß: „In Bayern wurde eine im Prinzip erfolgreiche Regierung bestätigt“) wird allein die Kritik an der inneren Sicherheit gesetzt: Perschau baut unter anderem auf die frustrierten CDU–Mitglieder in Hamburgs Polizei, deren Köpfe nach Pannen jeweils zuerst rollen. Prominentestes Mitglied des CDU–Schattensenats ist das Deutsche Bank–Vorstandsmitglied van Hooven. Er gilt als Antreiber einer Großen Koalition mit der SPD. Nicht zuletzt deshalb kämpft Perschau massiv gegen die FDP, die er als „Für Den Papierkorb“ buchstabiert. Die an Personen und Finanzen ausgeblutete Partei des Großen Geldes, die Hamburger FDP, will nach acht Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder ins Parlament. Mit Zustimmung Genschers und zum Entsetzen der rechten Fundis (Motto: Nur mit der CDU kommen wir ins Parlament) hielt der neue Parteichef Ingo von Münch die Koalitionsaussage offen. Er spekuliert auf eine Koalition mit der SPD. Das brachte Ärger: Sponsoren zogen bereits unterschriebene Schecks zurück. Frauenliste: Positives Image Die GAL–Frauenliste verdankt ihr Zustandekommen neben einem energischen Vorstoß einiger Frauen einer Männer–Koalition. Thomas Ebermann, Hamburger Bundestagskandidat, GAL–Landesvorständler und unbestritten eine der größten grünen Politiker– Begabungen, setzt auf Fundamentalopposition. Mit Hinblick auf die Bundestagswahl, für die er rot– grüne Sachzwänge fürchtet, wollte er die GAL in Hamburg auf eine solide Oppositionsrolle festschreiben. Andere Männer, die keine Chance für einen Machtwechsel in Hamburg sahen, meinten, die Gelegenheit sei günstig, praktisch risikolos das „Experiment Frauenliste auszuprobieren“. Obwohl die GAL einen fürchterlich unprofessionellen und auf die eigene Stammwählerschaft zugeschnittenen Wahlkampf führt, kommt die Frauenliste zum parteiinternen Staunen gerade in der stammwählerfernen Bevölkerung offenbar immer besser an. Die Abgrenzung der SPD nach links (Dohnanyi: „keinen Millimeter mit der GAL“) hilft dabei. Angst vor oder Hoffnung auf Rot–Grün haben nur ganz wenige. Selbst CDU und FDP haben in ihrer Wahlkampfstrategie bisher auf rot–grüne Hetze verzichtet. Die DKP kandidiert zwar „formal“ (die Parteizentrale in Düsseldorf wollte das so), ruft aber öffentlich zur Wahl der GAL oder der (verhaßten) SPD auf, letzteres, obwohl die lokale DKP–Führung GAL wählen wird, um Gorbatschow wegen SDI zu helfen. Erstmals in ihrem Leben SPD wählen werden einige Unternehmer, obwohl sie sich dabei „die Finger schmutzig“ machen, so ist aus der Elbchaussee (dort wohnt der Kaufmann) zu vernehmen. Öffentliche Unternehmerkampagnen fehlen allerdings. Das wäre unhanseatisch. Die Handelskammer, die mitleidig über Vorstellungen lächelt, ein Joschka Fischer könne etwa den Bankenplatz Frankfurt gefährden, meint: „Wir lassen den 9. November gläubig auf uns zukommen.“