P R E S S S C H L A G Zwischen Feuer und Eis

■ Zu Besuch beim isländischen Nationaltrainer Sigi Held

„Knorr Suppen“ prangt es grün–gelb inmitten der Bandenwerbung im Fußballstadion von Reykjavik. Nicht weit davon entfernt steht ein Mann an der Auslinie, der vor genau 20 Jahren diese Tütennahrung mit seinem Konterfei noch bedeutend anschaulicher vertreten konnte - auf Fußballbildchen mit dem Löffel in der Hand: „Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch!“ Es ist Siegfried „Sigi“ Held, der blonde Bomber mit dem Mecki, Vizeweltmeister 1966, mit Borussia Dortmund DFB–Pokalsieger 1965 und Europapokalsieger der Pokalgewinner 1966, Kicker–Idol der sechziger Jahre, seit rund einem halben Jahr Trainer der isländischen Nationalmannschaft. Auf dem Feld spielt seine Reservemannschaft, die die Olympiaqualifikation bestreitet, gegen eine Juniorenauswahl. „Yes, that was good!“, „Shoot with the wind!“ Trotz des ausnehmend schönen isländischen Sommerwetters und des flotten Schlagabtausches läßt sich keine rechte Begeisterung bei dem Teamchef feststellen. Von Schalke über Lüttringhausen nach Island - eine Trainerkarriere? „Der DFB hat mich gefragt, und mich hat die sportliche Aufgabe gereizt. Ich wollte gucken, was hier möglich ist, was man hier im Fußball bewegen kann.“ An etwas anderes, an die Erfolge Sepp Pionteks beispielsweise, dachte er bei seiner Unterschrift nicht. Wie denn auch, die Situation in Dänemark lasse sich ja gar nicht mit der isländischen vergleichen.: „Dänemark hat fünfzig, wir haben nur zwölf Profis.“ Diese zwölf sind aber nicht die schlechtesten. Neben dem Stuttgarter Star Sigurvinsson und den beiden Uerdingern Gudmundsson und Edvaldsson, gibt es noch isländische Profis bei Sheffield, Anderlecht, Luzern oder Hercules Alicante. Für Sigi Held lange kein Grund, „sich Illusionen zu machen“. Umso größer die Freude über die beiden Unentschieden auf der heimischen Insel gegen die Giganten Frankreich und Sowjetunion in der Europameisterschafts–Qualifikation. Der 44 jährige Held hat seinen Posten zu einer Zeit übernommen, da Fußball in Island den großen Volkssport–Durchbruch schafft und in der Beliebtheit mittlerweile dicht hinter der Nummer Eins Handball liegt. 235.000 Einwohner, 73 Herren– und 19 Damenteams verzeichnet die Statistik. „Der Falke“, „Der Blitz“, „Der Wikinger“ und andere Vereine verteilen sich auf vier Amateur–Divisionen, die letzten zwei jeweils noch mit regionalen Untergliederungen. Das unangefochtene Zentrum des isländischen Fußballgeschehens ist Reykjavik und Umgebung, von dort kommen die meisten Clubs und der Meister Valur. Für Sigi Held erübrigen sich dadurch weite Reisen über Gletscher und Vulkane, um nach hoffnungsvollem Nachwuchs für die Nationalelf Ausschau zu halten. Wenn es nach ihm geht, sollen isländische Balltalente fortan kein karges Aufwandsentschädigungsdasein während einer kurzen Saison (Mai–September) mehr fristen: „Mein Ziel ist, mehr Spieler ins Ausland, in Profivereine, zu bekommen“. Die Spieler hören so etwas mit Zurückhaltung. Sie wissen, daß solche Ausflüge mitunter auch bei Hertha Zehlendorf oder Eintracht Trier geendet haben. „Die isländische Fußballsaison war ein Triumph für das Angriffsspiel“, lautet der erste Satz im „Icelandic Football Yearbook 1985“. Viele Tore, viel Spiel hinter der Mittellinie, wenig taktis die meisten seiner Spieler auf dem Kontinent beschäftigt, da könne man nicht immer weiter das englische System spielen. Langweilig? „Fußball wird durch Taktik nicht immer gleich langweilig.“ Wackere Worte so kurz nach der Weltmeisterschaft, aber die letzten Spiele scheinen ihm recht zu geben, auch wenn das 0:2 gegen die DDR einen kleinen Rückschlag darstellt. Held selbst gibt sich jedoch bescheiden. Nach dem Spiel in Karl–Marx–Stadt antwortet er auf die Frage, ob er mit dem Erreichten nicht sehr zufrieden sei, mit einer isländischen Weisheit: „Auch zwei Schwalben machen noch keinen Sommer.“ Held bemüht sich um ein baldiges Zusammentreffen mit der Mannschaft seines Kollegen Beckenbauer. Ein Unentschieden oder gar ein Sieg - beides ja wahrlich nicht unmöglich - ließen ihn „dort unten“ nicht in Vergessenheit geraten. Die Fußballinteressierten würden dann vielleicht öfter mal nach Island schauen, das täte gut, denn Reykjavik ist nicht Dortmund, und auch sieben Monate im Jahr können auf Island sehr lang werden. Dietrich und Gunnar Köhne