Berliner Mieten streben nach Weltniveau

■ 1990 wird mit Berlin der letzte schwarze Kreis aufgehoben / Mietpreisbindung fällt weg / Gewerkschaftliches Institut GEWOS findet alles halb so schlimm / Altbau–Mietpreissteigerungen machen sozialen Wohnungsbau wieder attraktiv / Weit mehr Menschen werden vom Wohngeld abhängig sein

Aus Berlin Mechthild Küpper

Schwarz auf weiß hat der Berliner Senat die Bestätigung aus der Gewerkschaftsecke in seiner Hand, daß sein großer wohnungspolitischer Coup der nächsten Jahre so schlimm nicht sein kann. Der CDU–Bausenator Wittwer, die landeseigene Wohnungsbaukreditanstalt und der Verband der Wohnungsbaugenossenschaften bestellten ausgerechnet beim gewerkschaftseigenen GEWOS–Institut für Stadt–, Regional– und Wohnungsforschung eine Studie über den Berliner Wohnungsmarkt bis 1995. Über das Ergebnis zeigt sich die CDU ebenso tief befriedigt (“eine weitere Entspannung“) wie SPD, AL und Mieterverbände beunruhigt. Noch herrscht Ruhe in der Mieterstadt Berlin, die als einziger Ort in Deutschland (West) noch „Schwarzer Kreis“ ist. Ab 1988 sollen für neu vermietete Wohnungen die Mieten frei vereinbar sein: Ab 1990 wird Berlin „Weißer Kreis“. GEWOS nahm an, daß es 1995 nur noch 65.000 Arbeitslose in Berlin geben werde (augenblicklich sind es über 80.000), und daß die Realeinkommen um 1,5 Prozent jährlich steigen. Kaltmieten im modernisierten Altbau von 9,89 Mark pro Quadratmeter (1984: 6,14 Mark) seien trotz des Sprungs von 60 Prozent 1995 „tragbar“, weil bis dahin wahrscheinlich die Netto–Einkommen um 63 Prozent gestiegen sein würden. Wer 1988 umzieht, muß damit rechnen, bei gleich großer Wohnung ein Viertel mehr Miete zu zahlen. Bei der völligen Freigabe 1990 wird, so rechnen die GEWOS–Leute, noch einmal ein Fünftel dazu kommen. Bei zehn Prozent Mieter–Fluktuation im Jahr wird der Mietenspiegel schließlich schön hohe Mieten spiegeln. Die GEWOS–Leute, vom Mieterverein als „unverdrossene“ Optimisten verspottet, geben zwei Gruppen von Mietern allerdings nicht den geringsten Anlaß zur Hoffnung. Diejenigen, die unterbezahlt in einem der vielen alternativen Betriebe (z.B. der taz) arbeiten, werden sich ab 1990 überlegen müssen, ob sie 40 Prozent ihres Lohns von 1.000 - 1.500 Mark für Kaltmiete hinlegen können - von den happigen Zuschlägen für Betriebskosten, Heizung und Warmwasser einmal ganz abgesehen. Auch große Familien und Wohngemeinschaften werden es schwerer haben als jetzt schon. Nicht nur, weil große Wohnungen teuer sind, sondern weil es Wohnungen für mehr als fünf Personen schon kaum mehr auf dem freien Markt gibt. Fast die Hälfte aller Fünf–Personen–Haushalte wird „unterversorgt“ bleiben. Daher debattiert man in der von Rechtsanwälten mit Kudamm–Adresse kräftig durchsetzten CDU auch gern und ausdauernd über die greisen Witwen, die ganz allein und völlig überfordert in der verblichenen bürgerlichen Pracht ihrer Acht–Zimmer–Fluchten in der Innenstadt leben. Sie sollen fürsorglich, von Sozialarbeitern und Auszugs–Prämien motiviert, in kleinere Wohneinheiten gelenkt werden. Der Bausenator findet in der GEWOS–Prognose eine Bestätigung dessen, was er in aufwendigen Anzeigen als „soziales Mietrecht“ annonciert. Der Anregung von GEWOS, doch langsamer zu modernisieren und dafür mehr neu zu bauen, wird er nachkommen. GEWOS nämlich sieht eine Entwicklung kommen, die die hektische Bautätigkeit von Neuer Heimat und anderen sozialen Wohnungsbauern nicht einleiten konnten: die Sozialwohnungen im Weißen Kreis werden endlich billiger sein als Altbauten. Nicht gerade erstaunlich, daß ein gewerkschaftseigenes Institut dies begrüßt. Seltsam in der Mieterstadt Berlin ist allerdings, daß diese Vorteile des sozialen Wohnungsbaus erst dann im Portemonnaie der Mieter auftauchen, wenn durch zumeist späte, aufwendige und flächengreifende Modernisierung und durch den Weißen Kreis die begehrten Altbau–Wohnungen zur Luxusware gemacht worden sind. Preiswert werden 1995 nur schlechte Wohnungen sein.Nicht nur durch die Millionenbeute, die einzelne Skandalfiguren aus offiziell abgerechneten Wohnungsbauten ergatterten, ist die Art und Weise, wie die Neubautätigkeit in Berlin mit öffentlichen Geldern generös gefördert wird, in die Kritik geraten. Die Zinsen für die im Wohnungsbau steckenden Gelder machen jährlich fast ein Zehntel des Landeshaushaltes aus. Politische Vorgabe an GEWOS war es, ausschließlich „Subjektförderung“ zu betonen. Das heißt, Vermieter können zwar mehr Rendite aus ihren Immobilien herausholen, als zur schieren Instandhaltung nötig wäre, aber vom Staat direkt soll der Vermieter keinen Pfennig bekommen. Der Mieter soll subventioniert werden. Diese Art von Subjektförderung zeichnet sich dadurch aus, daß besonders wenige Anspruchberechtigte ihr Recht beim Amt einlösen. Von 100.000 Leuten, die Anspruch auf Wohngeld hätten, lassen es sich nur 85.000 auszahlen. Im Durchschnitt, so beruhigt GEWOS, werde die Mietbelastung im Jahre 1995 geringer sein als heute: nur noch 18,1 Prozent des Nettoeinkommens anstatt jetzt noch 18,4 Mietausgleich und Fehlbelegungsabgabe wird ganz oben und ganz unten auf der sozialen Leiter gekappt: durchschnittlich nur noch 17,1 Prozent des Einkommens sei nach Anrechnen dieser Leistungen zu erwarten. Doch vor allem die Wenigverdiener werden von solchen Durchschnitten nicht getröstet: sie müssen im künftigen Weißen Kreis Berlin knapp 40 Prozent ihres Lohns für Miete hinlegen, und selbst mit Wohngeld noch 27 Prozent - „eigentlich zu viel“, wie Peter Kramer, der Projektleiter der GEWOS, beiläufig einräumte. Schon heute flüchten Arme vor den Modernisierungen in schlechte Wohnungen, so ergab eine im Sommer veröffentlichte repräsentative Studie über die Lebensverhältnisse von 35.000 Bewohnern des durch Verslumung und neuerdings hektische Modernisierung geplagten kreuzberger Viertels SO 36. In jahrzehntelang vernachlässigten Häusern mit Kohleofen und Klo auf dem Treppenabsatz leben dann Menschen, die weniger als die Hälfte des berliner Durchschnittseinkommens verdienen. 40 Prozent der Mieter in SO 36 legen schon jetzt mehr als ein Viertel ihres Einkommens für die Miete hin. Außer kräftiger Wohlfahrt im Sozial– und Wohngeldamt zog der Bausenator einen praktischen Schluß aus der Studie: wesentlich langsamer soll modernisiert, und vielmehr als beabsichtigt soll neu gebaut werden. Teure „freie“ Altbauwohnungen machen Neubauwohnungen attraktiv und schaffen gleichzeitig Nachfrage für schlechte alte Wohnungen als Schlupflöcher für die Armen: „Soziales Mietrecht“. SPD, AL und Mieterverbände stehen in Hab–Acht–Stellung. Doch richtig wird der Streit um die Mietpreisbindung erst im Jubiläums–Jahr 1987 losgehen, wenn zur Internationalen Bauausstellung und der 750–Jahr–Feier Buskonvois voller Touristen durch das instandgesetzte Kreuzberg rattern wird.