„Ein paar Kompromisse mehr“

■ Öffentliche Kritik in der Sowjetunion an Gorbatschows „Njet“ in Reykjavik / Kritische Leseranfragen in der Sovietskaja Rossija zur Außenpolitik / Ein Novum in der Presse

Berlin (taz) - Der Moskauer Korrespondent des Mailänder Corriere della Sera berichtet von einer kleinen Sensation in der sowjetischen Medienpolitik. Die Tageszeitung Sovietskaja Rossija veröffentlichte in ihrer Mittwochausgabe Kritik an Gorbatschows Kompromißlosigkeit gegenüber Reagan in Reykjavik. Bei einer Besprechung mit Vertretern der „Union der Filmemacher“ wurde der Gipfelkorrespondent des Moskauer Blattes gefragt: „Schon vor Jehren erklärte Reagan, er werde sein SDI–Programm nicht aufgeben. Angesichts der Tatsache, daß wir in Reykjavik ein paar Kompromisse erreichen konnten, wäre es da nicht besser gewesen, in der Sternenkrieg– Frage etwas nachzugeben, um einen Schritt weiter zu kommen?“ Eine Leserin aus Kirov fragt, ob es nicht klüger gewesen wäre in der SDI–Frage nachzugeben? „Wenn es in Island zu schriftlichen Vereinbarungen gekommen wäre, das wäre sicher besser gewesen.“ Kritik an der offiziellen Politik - gar der Außenpolitik - liest man selten in der sowjetischen Presse. Auch die Sovietskaja Rossija veröffentlichte diese zaghaften Fragen nur, um ihnen sofort mit der amtlichen Erklärung zu antworten, aber es bleibt doch bemerkenswert, daß jetzt auch die Rüstungs– und Abrüstungspolitik öffentlich kritisiert wird. aw