Reykjavik–Gipfel zieht Kreise

■ Shultz und Schewardnadse wollen sich Anfang November treffen / US–Administration kann sich nicht über Reagans Abrüstungsangebot einigen / Sowjets lehnen US–Vorschläge ab

Von Michael Fischer

Berlin (taz) - Trotz der sich ständig vergrößernden Kluft zwischen den Verhandlungspositionen der Supermächte nach Reykjavik sollen die beiden Außenminister Shultz und Schewardnadse kommende Woche am Rande der KSZE– Verhandlungen in Wien zusammentreffen. Reagan pries am Mittwoch die für den 6. November geplante Unterredung „als Fortsetzung der Diskussion“, die er mit Gorbatschow in Island geführt hatte. Erneut betonte er die „einmalige Gelegenheit für Fortschritte“ bei den Abrüstungs verhandlungen, wenn die Sowjets nur mitziehen wollten. Zu ernst sollten Reagans hochfliegende Versprechen jedoch nicht genommen werden, hatte die US–Regierung doch erst am Dienstag Instruktionen nach Genf gekabelt, die ihrer Delegation bei den dortigen Abrüstungsgesprächen ein enges Korsett anlegen. Zwischen Reagan und seinen Beratern soll es darüber in den vergangenen Tagen zu ernsthaften Streitigkeiten gekommen sein. Der Präsident, der nach Meinung der Sowjets und des demokratischen Senators, Nunn, in Reykjavik dem völligen Abbau aller Atomwaffen innerhalb der nächsten zehn Jahre zugestimmt hatte, war am Dienstag von seinem Sprecher Speakes zurückgepfiffen worden. Die Falken in der Regierung hatten vor Reagans Abrüstungsrausch offensichtlich Angst bekommen. Im Verein mit den westeuropäischen Verbündeten führten sie die Übermacht der sowjetischen Streitkräfte im konventionellen Bereich ins Feld. Die jetzt von der US–Regierung ausgegebene Version von Reagans Antwort auf Gorbatschows Abrüstungsoffensive gilt auch als Leitlinie für die US–Verhandlungsdelegation in Genf. Wie Speakes erklärte, habe Reagan lediglich der Reduzierung der strategischen Waffen um 50 Prozent innerhalb der nächsten fünf Jahre und dem Abzug der europäischen Mittelstreckenraketen zugestimmt. In den darauffolgenden fünf Jahren sollen die ballistischen Raketen verschrottet werden. Mit im Angebot ist der Vorschlag, den ABM–Vertrag für zehn Jahre einzuhalten. Die US–Vorschläge werden von den Sowjets als ungenügend abgelehnt, da sie die USA stark bevorteilen würden. Die beiden Schwerpunkte der dreigegliederten US–Atomstreitmacht, die Atom–U–Bootflotte und die mit Marschflugkörpern bestückten Atombomber, würden von den Kürzungen der zweiten Phase ausgenommen sein. Die Sowjets hingegen wären verpflichtet, ihre nukleare Hauptstreitmacht, die ballistischen Raketen, vollkommen abzubauen. Der stellvertretende sowjetische Außenminister, Bessmertnych, erklärte dann auch, daß eine solche Auslegung der Gespräche für die Sowjetunion - von dem Streit über die Auslegung des ABM–Vertrags hinsichtlich Reagans SDI–Plänen abgesehen - unannehmbar sei.