„Eigentlich müßten die Großen den Kleinen helfen“

■ „Alte und neue Genossenschaften“, so der Titel einer SPD–Anhörung in Bonn / Vertreter alternativer Formen kritisieren Ausgrenzung aus Genossenschaftsverband / „Fruchtbare Lernprozesse“ besonders bei Mietergenossenschaften

„Soll das etwa eine Wertung sein?“ meinte Klaus Weiser vom Bundesverband der Deutschen Raiffeisenbanken gleich zu Beginn der Veranstaltung. Dann brach er in seinem Statement eine Lanze für die „traditionellen“ Genossenschaften: „Es gibt schließlich nicht nur Neugründungen im alternativen Öko–Bereich, sondern auch viele neue Handwerksbetriebe. Ziel einer jeden Genossenschaft ist die Förderung des Erwerbs ihrer Mitglieder. Sie muß außerdem politisch neutral bleiben und auf dem Boden der marktwirtschaftlichen Ordnung stehen. Wir unterstützen nur Neugründungen mit wirtschaftlich gesicherter Zukunft, die sich in das seit über hundert Jahren bestehende Ordnungsgefüge des Genossenschaftswesens einordnen, Basisdemokratie zum Beipiel widerspricht unseren Grundsätzen.“ Nach dieser überspitzen Stellungnahme blieb der Protest nicht aus. Michael Müller von der AG Genossenschaftswesen der SPD: „Man darf doch nicht übersehen, daß die neuen Genossenschaften aus drei Gründen entstanden sind. Erstens aus der Kritik an den anonymen Großorganisationen (DBG und SPD eingeschlossen), zweitens, um der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten und drittens als Selbsthilfe gegen Arbeitslosigkeit.“ Burghard Flieger von der AG Sozialpolitischer Arbeitskreise ergänzte: „Sie können doch die Genossenschaften mit alternativem Anspruch nicht einfach so ausgrenzen. Auch Ferdinand Lasalle, der Gründungsvater der Produktivgenossenschaften, hatte einen politischen Anspruch.“ Daraufhin lenkte Klaus Weiser ein. Bisher seien keine nennenswerten Probleme durch die Aufnahme alternativer Betriebe in den Genossenschaftsverband entstanden. Er sprach sogar von „fruchtbaren Lernprozessen auf beiden Seiten“. Bei den Alternativen steige das Verständnis für die Notwendigkeit einer ordentlichen Buchführung. An dieser Stelle meldete sich Torsten Martin von der Öko– Bank–Initiative zu Wort: „Herr, Weiser, Sie erwähnen hier die fruchtbaren Lernprozesse auf beiden Seiten. Bei unseren Gesprächen über die Kreditsicherung der Öko–Bank haben Sie immer nur Unverständnis gezeigt.“ Beim Stichwort „Ökobank“ geriet Weiser gleich wieder in Rage: „Warum wollen Sie eigentlich unbedingt eine Bank gründen?“ Dann teilte er jedoch eine wichtige Neuigkeit mit: Das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen sei inzwischen nicht mehr unbedingt der Meinung, daß die Ökobank in den Kreditsicherungsfonds aufgenommen werden müsse. Damit wäre eine große Hürde für die Gründung der Bank überwunden. Hans–Jochen Vogel, SPD–Fraktionsführer im Bundestag, nutzte die freudige Überraschung vieler Diskussionsteilnehmer, um seine Solidarität mit der Ökobank herauszustellen. „Herrgottnochmal, das mit der Kreditsicherung müßte doch zu machen sein. Soll doch die Ärztebank einspringen, das ist doch auch eine Genossenschaftsbank, und die haben doch wirklich genügend Einlagen.“ Obwohl das Thema nicht auf dem Programm stand, kam die Sprache immer wieder auf das Schlamassel mit der Neuen Heimat. Hans–Jochen Vogel: „Die Krise der Neuen Heimat rührt auch daher, daß sie alle genossenschaftlichen Prinzipien über Bord geworfen hat. Schon wegen ihrer Größenordnung erschien sie den Mietern als ebenso anonymes Großunternehmen wie jede andere Wohnungsgesellschaft auch. Und so sprang sie ja auch mit ihren Mietern um - jedenfalls seitdem der Verkauf ganzer Wohnblöcke auf die Tagesordnung kam. Genossenschaftliche Strukturen hätten eine solche Entwicklung durch soziale Kontrolle verhindert.“ Vogel erklärte, er sehe eine große Chance in der Gründung von Bewohnergenossenschaften zur Modernisierung alter Miethäuser oder auch von Genossenschaften für Jugendwohngemeinschaften und Wohngruppen mehrerer Familien. Bei Bau– und Wohnungsgenossenschaften sei die Neubaupflicht ein großes Hindernis und gehöre durch eine Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts abgeschafft. Ulrich Steger, der hessische Wirtschaftminister stellte heraus, daß die „Mietergenossenschaft Heimat“ ein Vorbild für den Umgang mit Wohnungen der neuen Heimat biete. Gemeinsam mit der „Stiftung nachbarschaftlicher Träger“ hat sie in Frankfurt über 1000 Wohnungen der NH übernommen. Diese werden jetzt von den Mietern selbst dezentral verwaltet. Steger kritisierte den „starken Konzentrationsprozeß“ bei den alten Genossenschaften. Die Zusammenschlüsse örtlicher Selbsthilfeorganisationen und Beschäftigungsinitiativen belebten dagegen wieder den Gedanken einer „Solidargemeinschaft von unten“. In Hessen würden deshalb selbstverwaltete Betriebe gefördert. Damit, so Steger, soll auch die „Selbstausbeutung“ der dort Arbeitenden verhindert werden. Insgesamt stünden für Investitionszuschüsse und Beratung selbstverwalteter Betriebe elf Millionen Mark zur Verfügung. Am Ende der Veranstaltung erzählte Bernd Hassert von der Handwerker–Genossenschaft Mannheim über die Schwierigkeiten in der Praxis: „Ich habe den Verdacht, daß wir in Baden–Württemberg aus politischen Gründen nicht gefördert werden. Jedenfalls haben wir fünf Jahre lang keinen Pfennig an Existenzgründungshilfe gesehen, während Gentechnologie–Betriebe mit Millionen unterstützt werden. Auch der Genossenschaftsverband steht nicht solidarisch hinter uns. Wenn man die Genossenschaftsidee ernst nähme, müßten die Großen eigentlich die Kleinen fördern.“