Wann geht der Strohmann in Konkurs?

■ Neue Heimat–Käufer Schiesser soll für einen Konkurs 33 Millionen DM versprochen bekommen haben

Kein Zweifel - Horst Schiesser, der mittelständische Multi–Unternehmer aus Berlin–Wittenau, liebt das Scheinwerferlicht. Seit dem spektakulären Kauf der Neuen Heimat kann er sich darin sonnen, soviel er will - so auch am heutigen Freitag abend in der Talkshow von NDR III. Aber auch bei diesem Auftritt wird er nicht erklären können, warum ausgerechnet er besser als die doch ungleich finanzkräftigere gewerkschaftliche Unternehmensholdig BGAG in der Lage sein soll, die in Milliardenhöhe verschuldete Neue Heimat zu sanieren. Der taz jetzt vorliegende Informationen erhärten den Verdacht, daß Schiesser von Anfang an als Strohmann der BGAG fungieren sollte, um den unvermeidlichen Konkurs der Neuen Heimat für den DGB finanziell und politisch billiger über die Bühne zu bringen. Da niemand eine solche Rolle freiwillig übernimmt, erhält Schiesser, wie die taz aus unterrichteter Quelle erfuhr, im Falle des Konkurses 33 Millionen von der BGAG - für den ehrgeizigen Mittelständler, um dessen Brotfabriken es offenbar nicht sonderlich gut bestellt ist, ein durchaus respektabeler Betrag. Diese Abmachung soll Bestandteil bislang nicht bekannter Zusatzvereinbarungen zum Verkaufsvertrag sein. Dies würde auch erklären, warum der notarielle Beglaubigungsvorgang nicht in der Bundesrepublik, sondern in der Schweiz abgewickelt wurde, obwohl Spezialisten wie der Hamburger Professor Strobel der Meinung sind, der gesamte Vertrag sei deshalb nichtig, weil der Gang ins Ausland mit dem seit dem 25. Juli dieses Jahres geltenden „Gesetz zur Neureglung des Internationalen Privatrechts“ nicht vereinbar ist. Es ist kaum anzunehmen, daß die beiden Vertragspartner das Risiko einer rechtlichen Anfechtbarkeit des Vertrages eingegangen wären, wenn es nur, wie es offiziell heißt, darum ging, die wesentlich billigere Schweizer Gebührenordnung auszunutzen. Weitere Subventionierung aus den Streikkassen politisch nicht durchsetzbar Kommt es nun zum Konkurs, werden vor allem die Gläubigerbanken das Nachsehen haben. Denn die müßten sich dann an Schiesser halten, der finanziell weit weniger zu bieten hat als die Gewerkschaftsholding BGAG. Spätestens seit Anfang dieses Jahres war den BGAG–Managern klar, daß die mit 17 Milliarden DM verschuldete Neue Heimat sich nicht länger aus eigener Kraft würde über Wasser halten kön nen. Eine weitere Subventionierung des Baukonzerns aus den Rücklagen der Gesellschafter, also letztlich den Streikkassen der Gewerkschaften, wie sie 1982/83 für die Neue Heimat Städtebau praktiziert worden ist, war politisch nicht mehr durchsetzbar. Der DGB–Bundeskongreß im Mai dieses Jahres hatte ebenso wie die meisten anderen Gewerkschaften eindeutige Beschlüsse gefaßt, die derartige Beschlüsse untersagen. Das NH–Management verfolgte angesichts dieser mißlichen Situation eine Doppelstrategie: Zum einen sollte versucht werden, unter dem Stichwort „Regionalisierung“ Regionalgesellschaften der Neuen Heimat bzw. Teile von ihnen an landeseigene oder kommunale gemeinwirtschaftliche Genossenschaften zu verkaufen. Die Sozialbindung der Wohnungen wäre erhalten geblieben und der Verkaufserlös konnte zum Ausgleich der Vorjahresdefizite sowie zur finanziellen Überbrückung bis zum Gesamtkonkurs (nach der Bundestagswahl!) dienen. Sollte dieses Vorhaben jedoch mißlingen, wollte man den Zusammenbruch des Konzerns noch bis Mitte des Jahres 1986 herbeiführen bzw. den Gläubigerbanken einen Vergleich nach dem Muster der AEG (Forderungsverzicht von ca. 50 Prozent) abpressen. Auf jeden Fall sollte wegen des damit verbundenen Imageverlusts der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie der zeitliche Abstand bis zur Bundestagswahl groß genug sein. Der Zeitplan scheiterte, weil die Verhandlungen mit den Bundesländern - vor allem den verschuldeten Stadtstaaten Hamburg und Bremen - sich wesentlich länger hinzogen und letztlich doch scheiterten. Bis auf die Verkaufsvereinbarungen in Hessen und Nordrhein–Westfalen mit einem Gesamtvolumen von 75.000 Wohnungen und 4,6 Milliarden Mark blieb die Neue Heimat auf ihren Wohnungen sitzen. In dieser Situation ließen die Manager ihre Rücksichten auf Wahlstrategien fallen und schalteten auf Option Nr. zwei: den Konkurs. Allerdings sollte der auf keinen Fall unter eigener Regie inszeniert werden wegen der unübersehbaren Folgen für die BGAG bzw. ihre hundertprozentige Tochter VHU, auf die Ende 1985 ein Anteil von 48,1 Prozent übertragen worden war. Ob die Verbindungen zu Schiesser nun von langer Hand eingefädelt worden sind oder dieser sich erst - wie die offizielle Legende es will, wenige Monate vor dem Verkauf als Interessent gemeldet hat, ist immer noch unklar. Jedenfalls wurden die Verhandlungen im ganz kleinen Kreis geführt: BGAG–Chef Lappas, das BGAG–Vorstandsmitglied Freyberg, das für die gemeinwirtschaftlichen Unternehmen zuständige DGB–Vorstandsmitglied Helmut Teitzel gehörten zum engsten Kreis der Eingeweihten. Daß DGB–Chef Ernst Breit von Anbeginn in die Gespräche einbezogen war, ist eher unwahrscheinlich. Auch der übrige Aufsichtsrat sowie NH–Chef Hoffmann wurden erst einbezogen, als eigentlich schon alles klar war. Die besseren Teile gehen zurück an die BGAG Daß Schiesser jetzt auf den Konkurs zusteuert, lassen schon einige Bestimmungen des inzwischen veröffentlichten Verkaufsvertrages vermuten. So heißt es im Paragraphen 7 des Verkaufvertrages, die BGAG solle durch Zuschüsse für eine verlustfreie Bilanz 1985 Sorge tragen. Im Gegenzuge könne die BGAG oder ein von dieser benannter Dritter „Vermögenswerte der NH–Gruppe zu angemessenen Preisen erwerben“. Bei diesen Vermögenswerten der NH, die auf diese Weise wieder an die BGAG zurückfallen, handelt es sich - wie aus den Zusatzverträgen zum Verkaufsvertrag hervorgeht - um Mietwohnungen, vor allem aus den Verlustreichen Regionen Nord, Bremen/Niedersachsen und Schleswig–Holstein. Daß sich die BGAG dabei nicht gerade die Verlustbringer, die unverkäuflichen Grundstücke und Eigentumswohnungen aussucht, liegt auf der Hand. Effekt dieses Tauschgeschäfts: Die BGAG bzw. ihre Tochtergesellschaft schält sich die besseren Teile aus dem NH–Gesamtpaket heraus, Schiesser erhält zwar einerseits eine kräftige Finanzspritze zum Ausgleich der aufgelaufenen Altlasten, gleichzeitig aber verschlechtert sich die verwertbare Substanz des bei ihm verbleibenden Immobilienpakets. Eine Gesundung des Konzerns erscheint noch hoffnungsloser als zuvor. Allerdings drohen auch der BGAG durch diese Regelungen noch ungeahnte Gefahren. Denn wie hoch die bis 85 aufgelaufenen Verluste letztlich sind, darüber liegen widersprüchliche Äußerungen vor. DGB–Chef Ernst Breit nannte als Limit für den Verlustausgleich 300 Millionen Mark. Der Hamburger NG–Experte Prof. Wilhelm Strobel schätzt sie allerdings wegen der ungünstigen Preisentwicklung und der deshalb auf dem Immobilienmarkt vorzunehmenden Wertberichtigungen der NH–Substanz auf rund zwei Milliarden Mark. Diese Dimensionen allerdings können auch die BGAG schon an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit bringen. BGAG– Sprecher Stanzik dazu: „Reine Phantasie“. Martin Kempe/Kai von Appen