Aktenflut bei Super–Mafia–Prozeß

■ Im Super–Mafia–Prozeß verlangt die Verteidigung die Verlesung sämtlicher Ermittlungsakten / Das würde aber rund zwei Jahre dauern und die Mafiosi aus der Untersuchungshaft in die Freiheit bringen

Rom (taz) - Einen neuen Gag haben sich die Verteidiger im Mafia–Super von Palermo einfallen lassen: In einem Kollektivantrag fordern sie vom Gericht die Verlesung aller Ermittlungsakten. Ein an sich im Strafprozeß vorgesehener Vorgang, dem sich das Gericht - will es keinen Revisionsgrund schaffen - kaum verweigern kann. Nur: im Falle des Prozesses um die Mafia handelt es sich um nicht weniger als 400.000 Seiten. Deren Verlesung würde nach Schätzungen verschiedener Seiten mehr als zwei Jahre in Anspruch nehmen. Darauf zielen die Mafiosi: Anfang November müssen bereits an die hundert derzeit einsitzende Angeklagte freigelassen werden, weil die Höchstdauer der Untersuchungshaft für sie abläuft; im Mai 1987 müßte dann der Rest entlassen werden, wenn bis dahin kein Urteil gegen sie vorliegt. Damit wären alle 474 mutmaßliche Gangster wieder frei - das Verfahren wegen neunzig Morden und mehreren Tausend anderer Verbrechen könnte zwar irgendwann (1989, vielleicht auch erst 1990) abgeschlossen werden, die Angeklagten wären aber wohl längst über alle Berge. Die jahrelangen Ermittlungen mit ihrer immensen Papierflut drohen nach hinten loszugehen. Justizminister Virginio Rognoni hat deshalb auch bereits vorsorglich angekündigt, daß die Regierung - im Falle verzögernder Aktenverlesung - das Gesetz über die Dauer der Untersuchungshaft per Dekret ändern werde. Aber auch das ist schwierig, kann doch nach allgemeinem Rechtsgrundsatz ein Gesetz, das nach Begehung einer Straftat verabschiedet wurde, nicht nachträglich für den betreffenden Straftäter eingeführt werden. Der europäische Gerichtshof hat schon verschiedene Male die italienischen U–Haft–Regelungen kritisiert; es ist vorauszusehen, daß dies auch hier der Fall sein würde. Die Entscheidung über die Verlesungs– Anträge soll noch vor Wochenende fallen. Werner Raith