„Gesamtzusammenhang“ machts möglich

■ CDU/CSU und FDP bringen neuen Gesetzentwurf „Bekämpfung des Terrorismus“ ein / Vor dem Paragraph 130 a sind nicht mehr alle gleich / Extreme Auslegungsspielräume / Unmut in FDP über Fraktionsbeschluß

Aus Bonn Oliver Tolmein

Gestern wurde von den CDU/ CSU– und FDP–Fraktionen der letzte Woche entwickelte Gesetzentwurf „Zur Bekämpfung des Terrorimus“ in den Bundestag eingebracht. Die erste Lesung wird am kommenden Freitag stattfinden. Gegenüber dem ersten Entwurf sind keine Veränderungen vorgenommen worden. Interessant sind die Begründungen insbesondere für die vorgesehene Strafverschärfung in Paragraph 129 a (Gründung einer terroristischen Vereinigung) und für die Wiedereinführung des 130 a (Anleitung zu Straftaten). Der derzeit gültige Paragraph 129 a behandelt die Bildung einer terroristischen Vereinigung als Vergehen, für das Strafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren angedroht werden. Künftig wird die Bildung einer „terroristischen Vereinigung“ als Verbrechen behandelt, das Strafmaß ver doppelt sich damit. Diese Erhöhung soll „der besonderen Gefährlichkeit terroristischer Vereinigungen für die innere Sicherheit (...) gerecht (werden)“. Werbung und Unterstützung werden allerdings auch nach neuem Recht als Vergehen und nicht als Verbrechen eingestuft. Bei Paragraph 130 a wird in der Begründung darauf hingewiesen, daß, anders als in der alten Fassung dieses Paragraphen, nach der es zu keinen Verurteilungen kam, auch sogenannte „Umgehungshandlungen“ einbezogen sind. Auch Publikationen können somit strafrechtlich verfolgt werden, bei denen sich nicht aus dem Inhalt ergibt, daß sie „die Bereitschaft anderer“, Straftaten zu begehen, „fördern oder wecken“ wollen. Es soll ausreichen, daß sich dieses Ziel aus dem „Gesamtzusammenhang“ ergibt. Damit wird der neue Paragraph 130 a extrem interpretationsfä hig: Konsequenzen lassen sich beispielsweise für Interviews denken. So könnte ein und dasselbe Interview mit Autonomen einmal vom Spiegel geführt, einmal von einer Stadtzeitung oder der taz im „Gesamtzusammenhang“ strafrechtlich verschieden gewertet werden: im einen Fall als „informativ“, im anderen als „Anleitung zu Straftaten“. FDP schwankt Berlin (dpa/taz) - Während Justizminister Engelhard (FDP) einerseits erklärt, die Kronzeugenregelung sei verfassungsrechtlich völlig unbedenklich, betont er auf der anderen Seite, es müsse eine „absolute Ausnahmeregelung“ bleiben. Doch in der FDP wächst der Unmut am Verhalten der Bundestagsfraktion. Die Berliner FDP spricht von einem „Umfall“ und von „verheerender Außenwirkung“. Der stellvertretende FDP–Vorsitzende Gerhardt Baum spricht inzwischen von „wachsendem Widerstand innerhalb der Partei“. Hirsch, der im Innenausschuß hilflos schwieg, erlaubt sich zumindest öffentliche Verbitterung über Geißler, demzufolge die Gegner der neuen Terrorismusgesetze Komplizen der Terroristen seien. Schließlich hat der Vorsitzende der Jungliberalen, Westerwelle, eine parlamentarische Anhörung zur Kronzeugenregelung gefordert. Test für Ansätze des FDP–Widerstandes gegen das Gesetzpaket wird das „Gipfeltreffen“ der Liberalen in der EG am Montag in Hamburg sein. Bekämpfung des Terrorismus ist ein Tagesordnungpunkt. Es fragt sich, ob sich die FDP–Oberen beispielsweise mit der Meinung des dort anwesenden italienischen Verteidigungsministers Spadolini anfreunden können: Er erklärte am Donnerstag, daß die Kronzeugenregelung die „italienische Rechtsordnung zu ruinieren drohe“ und darüberhinaus ein „Angriff auf die Richterschaft“ sei.