Kohllage

■ Zu den Folgen des Kanzlerzitats in der Newsweek

Kohls Vergleich zwischen Gorbatschow und Goebbels ist keine Entgleisung, sondern ein Desaster deutscher Außenpolitik. Da ist einmal der dumpfdeutsche Biedersinn, der aus dem Nationalsozialismus nur gelernt hat, wie man den Gegner denunziert. Alles, was nicht ins antikommunistische Weltbild paßt, ist eben eine Goebbelssche Machination. Keine Frage, daß Kohl das denkt, was er jetzt dementiert. Die Ausladung Riesenhubers ist aber nicht nur Ausdruck ernstzunehmender Empörung bei der sowjetischen Regierung. Sie ist eine schallende Ohrfeige. Es ist offensichtlich, daß die Sowjetunion an dem Zitat festhält, um Kohls delirierende Kalte– Krieger–Eskapade in den USA nach Reykjavik anzuprangern. Daß Kohl die Annäherung der Weltmächte bei der Abrüstung der Mittelstreckenwaffen ausgerechnet vor Chikagoer Geschäftsleuten als Appeasement–Politik denunzierte, ist gravierender. In dem Versuch, die amerikanischen Scharfmacher zu übergeifern, hat er die deutschen und europäischen Interessen für antikommunistische Beschwörungen preisgegeben. So gesehen war das Zitat für die Sowjetregierung der willkommene Anlaß, deutlich zu machen, wie sie die Beziehungen zur Kohl–Regierung einschätzt: zweitrangig. Kohl wird brüskiert, mit Genscher wird gesprochen. Niemand könne hinter Reykjavik zurückfallen, betont Genscher. Der Letzte war, wie jeder weiß, Kohl. Kurzum, der deutsche Außenminister appelliert an die Sowjetunion, nur mit ernstzunehmenden Regierungsvertretern Politik zu machen. Kohl gehört für Genscher offenbar nicht zu dieser Kategorie. Auf der Strecke bleibt dabei eine einheitliche deutsche Außenpolitik. Klaus Hartung