Erst animieren, dann denunzieren

■ Über die Methoden des Verfassungsschutzes berichtet eine „Agentin aus der Szene“ / Von Dietrich Willier

Vera Mößner arbeitete dreieinhalb Monate für den baden–württembergischen Verfassungsschutz. Ihr Auftrag: Erst animieren und selbst Straftaten begehen, dann denunzieren. Zielobjekte waren Autonome, „Schwarzer Block“, Frauengruppen und die Grünen. Was der Verfassungsschutz nicht wußte: Vera M. hatte sich vor Dienstantritt mit dem Geschäftsführer der Ravensburger Grünen beraten. Jeder Auf

Es ist Montag, der 27. Oktober, kurz vor 14 Uhr in der bayrischen Kleinstadt Wangen. Langsam kommt ein orangefarbener VW– Käfer aus der Innenstadt herauf, WN–PC 64 - die Nummer stimmt. Der Wagen biegt ab und steuert noch immer in ruhigem Tempo in Richtung Bahnhof. Am Steuer ist deutlich eine circa 30 Jahre alte Frau erkennbar, leicht zu identifizieren an ihrem halblangen, blondgelockten Haar. Die Beschreibung stimmt, es muß Melanie Heller sein, Mitarbeiterin des Stuttgarter Verfassungsschutzes, im Moment auf dem Weg zu einem Treffen mit einer „Informantin“ aus der Szene, die sie seit drei Monaten „betreut“. Was die Frau mit dem Dienstnamen Melanie Heller nicht weiß: Ihre Informantin, Vera Mößner, war von Anfang an nur zum Schein auf das Angebot des Verfassungsschutzes eingegangen und wollte diese Verbindung nun öffentlich auffliegen lassen. Wie verabredet hält der VW in einer Parknische vor dem Bahnhof, doch Melanie Heller bleibt im Auto. Statt auszusteigen und auf Vera Mößner zuzugehen, wartet sie, daß diese über die Straße kommt und zusteigt. Damit ist die erste Chance für ein beweiskräftiges Foto vorbei, der Fotograf springt aus seinem Versteck und die Verfassungssschützerin sieht das auf sie gerichtete Teleobjektiv. Mit quietschenden Reifen fährt der VW los, eine nicht geplante Verfolgungsjagd beginnt. Wir sehen noch, wie der orangene Käfer mit hoher Geschwindigkeit in die Ausfahrtstraße nach Memmingen einbiegt, dann blockiert eine lange Kolonne entgegenkommender Fahrzeuge unsere Verfolgung. Auch in den nächsten Ortschaften ist der Wagen nicht mehr zu finden, wir kehren um. In Deuchelried, dem nächsten Ort, neben einer Telefonzelle finden wir den VW wieder. Der Fotograf springt aus dem Auto, drückt ab, Frau Melanie Heller verriegelt die Türen und mit quietschenden Reifen geht es wieder nach Wangen. Entgegenkommende Autos müssen anhalten, eine Kehrtwende gelingt wie im Film, Touristen einer Fußgängerzone der Altstadt springen erschrocken zur Seite, ein Parkplatz wird zur Slalombahn, doch als Verfassungsschützerin Melanie (Verfolger werden immer für die Rechtschaffenen gehalten) nochmals ver sucht, in falscher Richtung die Einbahnstraße durch ein Stadttor zu passieren, versperren zwei aufgebrachte Hausfrauen den Weg. Das Tele ist ausgerichtet, auch ein Tourist drückt auf den Auslöser, das genügt zur Enttarnung. Die Feldstudie „Bürger schnüffeln im Verfassungsschutz“ ist beendet. Terrain für die US Begonnen hatte alles drei Monate zuvor, Mitte Juli in Ravensburg. Für sie völlig überraschend wurde Vera Mößner auf offener Straße von einer Frau angesprochen, die sich als Melanie Heller, Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, vorstellte. Man brauche, so Frau Heller, Informationen aus der Ravensburger Anti– AKW und Autonomen–Szene. Dabei sind Ravensburg und das Allgäu doch eine ruhige Idylle. Schwarz, aber hübsch. Wer anders denkt trifft sich im „Humpis“ oder der „Räuberhöhle“: Der Boden soll dort ganz mit Matratzen ausgelegt sein, heißt es, da nehmen sie Drogen und huren herum! Seit Tschernobyl aber hat sich vieles verändert in und um Ravensburg. Da hat die „Energieversorgung Schwaben“ (EVS) ihr Büro gegenüber den Grünen mit Brettern vernagelt, da brannte ein Stapel Holzstrommasten, auch von der EVS, und die Betonverschalung der neuen Autobahn. Beherzte Autofahrer rissen eine brennende Lunte von einer Baumaschine, Eisenteile an einer Nylonschnur über Hochspannungsleitungen geworfen, verursachten Kurzschluß, und vom vielen Sägen destabilisiert, fiel ein Strommast. Das ist Terrain für den Verfassungsschutz. Ein paarmal war Vera Mößner schon in Wackersdorf, am Bauzaun zu Sonntagsspaziergängen, auch an Pfingsten. Es ging ihr nicht besonders, sie hatte die Schule abgebrochen, ein Kind be kommen aber keine Arbeit. Nachdem die Verfassungsscshützerin sie angesprochen hatte, suchte Vera Mößner Winfried Taschler, den Geschäftsführer der Grünen in Ravensburg auf. Es wurde vereinbart, daß Vera Mößner das Spiel mitmacht, solange sie kann. Regelmäßige Gedächtnisprotokolle über alle Einzelheiten der zukünftigen Treffen sollte Winfried T. an einem sicheren Ort aufbewahren. Insgesamt kam es zu elf Treffen, das erste am 15. Juli, als Vera Mößner dem Verfassungsschutz ihre scheinbare Mitarbeit anbot. Erstes Protokoll: „Nach Absprache traf ich mich am 15.Juli 86, mittags um 12 Uhr am Ravensburger Bahnhof mit dieser Frau vom Verfassungschutz. Mein Auftrag bis zum nächsten Treff, eine Woche später am Bad Schussenrieder Bahnhof, lautete: Aufschlüsselung des Schwarzen Blocks in Ravensburg. Melanie Heller befragte mich nach meinen Kontakten zu Winfried Taschler. Ich erhielt 100 DM und 20 DM für Fahrtkosten.“ Vera M. wurde weiter aufgefordert, jedes erreichbare Flugblatt aus dem „linksextremistischen Bereich“ zu besorgen. Codename „Zypern“ Bei Telefonkontakten mit dem Stuttgarter Verfassungsschutz hatte sie sich mit dem Code–Namen „Zypern“ zu melden. Beim nächsten Treff sollte sie über die Szenekneipen „Räuberhöhle“, „Humpis“ und „Bierkanne“ berichten, eine Einschätzung der politischen Aktivitäten des Ravensburger Geschäftsführers der Grünen und Internas über den „Schwarzen Block“ liefern. Besonders interessiert war die Verfassungsschützerin an Informationen über einen szenebekannten Wissenschaftler. Vera M. solle versuchen, möglichst bald wieder nach Wackersdorf zu kommen. Auch beim zweiten und dritten Treff wird Vera M. mit je 150 DM entlohnt, und quittiert mit „Zypern“. Beim siebten Treffen wird Vera Mößner dann erstmals nach Wackersdorf geschickt: „Mein Auftrag: Bald nach Wackersdorf, Augen und Ohren auf, mitreden aber nach Möglichkeit nicht mitmachen. Melanie kommt zur Sache Dann, beim 14. Treff kommt ihre „Anleiterin“ richtig zur Sache: „Melanie fährt nächste Woche nach Wiesbaden und sieht sich die Liste der bisher erfaßten Personen an. Melanie setzt mich unter Druck, endlich wieder nach Wackersdorf zu fahren, ein Wochenende für zusätzlich 300 DM, ihre Chefs hätten sie bedrängt. Ich soll jetzt andere Leute animieren, Aktionen zu starten. Es gibt aber zur Zeit keinen aktuellen Anlaß am Bauzaun, und viele Leute sind in Urlaub. Interesse an extremen Frauen. Winfried Taschler von den Grünen müßte doch auch wieder zurück sein. Soll jeden Zettel, der mir in seinem Büro in die Fin ger kommt, und der den Verfassungsschutz interessieren könnte, mitnehmen. Muß mich am 18.August telefonisch aus Wackersdorf melden“. Protokoll 5. September: „Beim nächsten Treff werde ich unter Vertrag genommen. Bevor ein Strommast fallen soll, soll ich anrufen, die „Täter“ könnten dann zufällig in eine Alkoholkontrolle geraten. 150 DM quittiert.“ Protokoll 22. September: „Habe meinen Vertrag unterschrieben. Bin bei allen Aufträgen weisungsgebunden, kann also nicht strafrechtlich belangt werden. Absolute Schweigepflicht, auch gegenüber der Polizei (Strafandrohung ein bis fünf Jahre Knast). Erhielt 200 DM für freiberufliche Tätigkeit und 100 DM Spesen. Habe M. aus dem Büro der Grünen eine „antiimperialistische Zeitung“ und ein Flugblatt über das „ungehorsame Oberschwaben“ mitgebracht. Protokoll 29.September: „M. will das Handbuch für Blockierer aus Mutlangen von mir. Wahlkampftaktik der Grünen?“ Protokoll 13.Oktober: „Was war in dem Film Zaunkämpfe zu sehen? Infos über Gasgranaten, Gummischrot, Bilder von Ostern und Pfingsten, aufgebrachte Bürger! Bestand Interesse an dem Film, wer hat die Vorführung organisiert? Winfried Taschler!“ Mit Infos nicht getan Zu einem weiteren Informationstreffen mit der Verfassungsschützerin „Melanie Heller“ ist es nicht mehr gekommen. Vera Mößner war sich zu unsicher geworden, wie lange sie ihre Doppelrolle noch unentdeckt spielen kann. Vor dem Rockfestival in Burglengenfeld war sie noch aufgefordert worden, sich in einen Typ aus der militanten Szene zu verlieben, um so besser an Informationen zu kommen.Dann wurde der Druck verstärkt. Mit „Infos allein sei es nicht mehr getan“, Vera M. wurde aufgefordert, zu Straftaten zu animieren und selbst welche zu begehen - Straffreiheit wurde ihr garantiert. 1.400 DM hat Vera M. in dreieinhalb Monaten „verdient“. Abgeordnete der Grünen im Bundestag und im Stuttgarter Landtag wußten von Vera M.s Engagement. Sie hat niemanden denunziert, und hofft, daß ihr das auch geglaubt wird. Sie weiß, daß sie selbst in Ravensburg nicht die einzige war, die für den Verfassungschutz arbeitete. In der Nacht vor dem letzten Treff am vergangenen Montag wurde beschlossen, ihre Kontakte zum Verfassungschutz zu beenden und ihre Betreuerin aus dem Stuttgarter Amt zu enttarnen. Vera M. hat Angst um ihren Job, ihre Wohnung und vor weiterer Verfolgung durch eine Behörde, die offenbar immer weniger abwartet, bis ihre Handlungen durch neue Gesetze legalisiert sind. Der nächste Schritt wird die Legalisierung des staatlichen Krontäters sein müssen.