I N T E R V I E W ABM–Vertrag ist Bedingung für weitere Abrüstung

■ Prof. Dr. Alexeij Bitschkow, Historiker und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, über die Abrüstungspolitik der Sowjetunion

taz: Wie geht es jetzt in den Abrüstungsverhandlungen weiter? Ist es realistisch, zu glauben, die USA und die NATO würden auf SDI verzichten? Prof. Bitschkow: Ja. SDI ist unserer Auffassung nach keine Klammer, die alle westlichen Länder vereinigt. Es ist ein Projekt der zur Zeit federführenden Kreise aus Wirtschaft und Politik in den westlichen Staaten, mit dem sie nach Macht und Vormacht streben. Wir sehen aber auch die andere Tendenz in den selben Ländern, wo einflußreiche Politiker energisch für eine Änderung der Situation eintreten. Mit Blick auf Reykjavik hat sich die Sowjetunion deutlich auf die USA zubewegt. Zuerst wurde gefordert, den mit SDI zusamenhängenden ABM–Vertrag für weitere 15 bis 20 Jahre einzuhalten, dann konnte sich Gorbatschow die Einhaltung bis zu 15 Jahren vorstellen, in Reykjavik blieb die sowjetische Delegation bei einer Vertragsdauer von weiteren zehn Jahren stehen. Reagan hat betont, daß SDI frühestens in siebeneinhalb Jahren stationiert werden könne. Ist es möglich, über diese im Grunde kleine Zeitdifferenz von zweieinhalb Jahren noch zu einer Einigung zu kommen? Die gefährliche Lage in der Welt war der Grund, warum wir nicht nur weitgehende konkrete Pläne vorgelegt haben sondern auch unseren Teil des Weges zurückgelegt haben, in Punkto Kompromißbereitschaft. Insofern betrachten wir die Frage von SDI und der Einhaltung des ABM–Vertrages in den nächsten zehn Jahren nicht getrennt von unseren anderen Vorschlägen. Wir betrachten alle diese Vorschläge als einen Komplex. Ist der ABM–Vertrag also ein Scharnier zwischen den bisherigen Gesprächen und möglichen Abrüstungsverträgen? Die Einhaltung des ABM–Vertrages ist eine für uns unerläßliche Bedingung für die konkreten Abrüstungsschritte, weil dieser Vertrag verhindert, daß während einer vereinbarten Abrüstung andere Waffen aufgebaut werden könnten, die unsere existentiellen nationalen Sicherheitsinteressen gefährden und damit die Gefahr eines neuen umfassenden Krieges mit sich bringen würden. Es sieht zur Zeit nicht so aus, als wenn die USA den ABM–Vertrag länger einhalten wollen, das sehen auch Ihre Generäle. Arbatow hat in einer Diskussion mit der Zeit dargestellt, daß es über entsprechende militärische Fragen große Differenzen zwischen Parteiführung und Militärs gibt. Wo verlaufen da die Diskussionslinien? Ich habe nicht den Einblick von Herrn Arbatow, auch wenig Überblick über die Diskussionen unter den Militärfachleuten. Es entspricht unserer neuen politischen Denkweise, daß im Entscheidungsfindungsprozeß auch unterschiedliche Meinungen dargelegt werden, daß Auseinandersetzungen stattfinden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß es auch in dieser Frage zu Auseinandersetzungen gekommen ist. Die USA haben dort, wo politische Reaktionen gefordert wurden, Macht demonstriert. Auf das Atomtestmoratorium haben sie bisher mit 22 Atomtests reagiert. Halten Sie es aus politischer Sicht für möglich, daß das Atomtestmoratorium noch einmal verlängert wird? Ich muß noch einmal auf Reykjavik zurückkommen. Wir haben den USA gesagt, daß bei Annahme unseres Abrüstungspaketes die Frage des Moratoriums im Gesamtrahmen der Abrüstung gelöst werden kann. Sie müßte nicht in der ersten oder zweiten Etappe der Abrüstung behandelt werden, das könnte auch später passieren. Wenn das jetzt so weitergeht, wenn es zu keinen Verhandlungen mehr kommt, dann vergrößert sich die Wahrscheinlichkeit erheblich, daß das Moratorium nicht mehr verlängert wird. Das Interview führte Friedhelm Wachs