Richtersegen für Privatfernsehen

■ Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt Nebeneinander von Privaten und Öffentlich–Rechtlichen / Nur ein kleiner Rüffel für Ernst Albrecht / Den Privaten die Kür - den öffentlich–rechtlichen Sendern die Pflicht / Mit dem Urteil können beide Seiten gut leben

Karlsruhe (taz) - Mit seinem vierten großen Runkfunkurteil hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe die duale Rundfunkordnung von öffentlich– rechtlichen und privaten Sendern zur Zufriedenheit aller festgeklopft. Sowohl die Vertreter der traditionellen Sendeanstalten als auch die der neuen privaten Anbieter äußerten sich hocherfreut über den Karlsruher Spruch. Nur am Rande bemerkte ein Fernsehredakteur, daß die Rolle der öffentlich–rechtlichen Rundfunkanstalten bald nur noch auf Telekolleg und Report beschränkt sein werde und die ungeliebte Konkurrenz die hohe Einschaltquoten versprechenden Spielfilme produzieren dürfen. Zur verfassungsrechtlichen Debatte stand das neue niedersächsische Landesrundfunkgesetz, gegen das 201 SPD–Bundestagsabgeordnete im Wege eines Normenkontrollverfahrens in Karlsruhe zu Felde gezogen waren. In der gegenwärtigen Rundfunkordnung, so der 1. Senat, ist die „unerläßliche Grundversorgung“ der Bevölkerung „Sache der öffentlich–rechtlichen Anstalten, zu der sie imstande sind, weil ihre terrestrischen Programme nahezu die gesamte Bevölkerung erreichen und weil sie nicht in gleicher Weise wie private Veranstalter auf hohe Einschaltquoten angewiesen, mithin zu einem inhaltlich umfassenden Programmangebot in der Lage sind“. Darin findet der öffentlich–rechtliche Rundfunk seine Existenzberechtigung und darf deshalb und ausdrücklich auch durch Gebühren finanziert werden. Deutliche Worte an die Adresse der Politiker, die gerne über die Gebührenzange Einfluß auf die Sendeanstalten ausüben wollen. Daß man den Markt mit seinen kapitalistischen Strukturen nicht als einziges Regulativ für die Gestaltung einer neuen Rundfunkordnung verfassungrechtlich durchgehen lassen kann, weil dann doch die Gefahr bestünde, daß die Rundfunkfreiheit kassiert werde, machte das Gericht zwar an verschiedenen Stellen in seiner 90 seitigen Entscheidung deutlich. Trotzdem ließ das BVG den privaten Anbietern viel nach. Tagesthema auf Seite 3 Fortsetzung von Seite 1 So vermögen die Programme privater Anbieter der Aufgabe umfassender Informationen nicht im vollen Ausmaß gerecht zu werden, heißt es in dem Spruch. Es sei sogar damit zu rechnen, daß die „Rundfunkprogramme privater Anbieter Informationen nicht in der vollen Breite der Meinungen und kulturellen Strömungen vermitteln werden“. Unabhängig von der geringen Zahl der Anbieter könne vom privaten Rundfunk „kein in seinem Inhalt breit angelegtes Angebot erwartet werden, weil die Anbieter zur Finanzierung ihrer Tätigkeit nahezu ausschließlich auf Einnahmen aus der Wirtschaftswerbung angewiesen“ seien. Die Anbieter stünden deshalb vor der „wirtschaftlichen Notwendigkeit, möglichst massenattraktive, unter dem Gesichtspunkt der Maximierung der Zuschauer– und Hörerzahlen erfolgreiche Programme zu möglichst niedrigen Kosten zu verbreiten“, bemerkten die acht Verfassungsrichter und führten weiter aus: „Sendungen, die nur für eine geringere Zahl von Teilnehmern von Interesse sind und die oft - wie namentlich anspruchsvolle kulturelle Sendungen - einen hohen Kostenaufwand erfordern, werden in der Regel zurücktreten, wenn nicht gänzlich fehlen, obwohl erst mit ihnen die ganze Breite umfassender Informationen zu erreichen ist, ohne die es keine Meinungsbil dung im Sinne der Garantie“ des Grundgesetzes „geben kann“. Um die auch mit oder trotz der privaten Sender zu gewährleisten, verpaßte Karlsruhe nun den öffentlich–rechtlichen Rundfunkanstalten eben und endlich eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie, auf die viele Journalisten sehnsüchtig vor der Urteilsverkündung gehofft hatten. Und für die Neuen im Elektronikland hatte der Senat den Satz parat: „Es ginge aber nicht an, den privaten Rundfunk nur unter Voraussetzungen zu ermöglichen, die eine Veranstaltung privater Programme in hohem Maße erschweren, wenn nicht ausschließen würden“. Finanzieren darf sich der Kommerzfunk in Zukunft mit Werbung und wieder Werbung. Immerhin ein Fünftel der Sendezeit ist nach dem Urteil akzeptiert, und sollte eine Sendung mehr als 100 Minuten dauern, darf sie auch einmal zu Werbezwecken unterbrochen werden. Voraussetzung ist, man kündigt sie vorher an. Tangiert wäre die Rundfunkfreiheit für das BVG z.B. dann, wenn der Kommerzfunk den Printmedien zuviele Werbekunden abjagen würde und dann ein Zeitungssterben oder eine nicht gewünschte Konzentration der Meinungsmacht entstehen würde. Die immer eingeklagte Pluralität des Rundfunks, die sich in die Außen– und die Binnenpluralität aufsplittet, gilt für die privaten Anbieter im elektronischen Bereich nach dem gestrigen Urteil nicht mehr so stringent. Zwar soll auch im Kommerzfunk die „Möglichkeit“ für die Darstellung der Positionen von Minderheiten bestehen, doch eben nur die Möglichkeit. Insgesamt sollen die verschiedenen Anbieter einer privaten Rundfunkanstalt in ihrer Gesamtheit für die nötige Außenpluralität garantieren. Fällt diese flach, dann tritt die Binnenpluralität in den Ausgewogenheitsring. Doch insgesamt sind die Maximalkriterien für die Ausgewogenheit bei den privaten Sendern nicht mehr so gewichtig. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Rundfunkfreiheit auch für private Veranstalter gebietet für diese noch lange nicht eine entsprechende binnenpluralistische Organisation. Zwar wäre eine solche Organisation „verfassungsmäßig“, aber der maßgebliche Einfluß läge in diesem Fall nicht bei dem Unternehmer, sondern bei den gesellschaftlichen Kräften, die in einem binnenpluralistischen Gremium repräsentiert“ seien. „Damit wäre diese Form der Veranstaltung von Rundfunksendungen um das Grundelement privatautonomer Gestaltung und Entscheidung und damit um ihre eigentliche Substanz gebracht, so der Senat. Und auf Seite 40 des Urteils heißt es dazu weiter: „Ausschlaggebend ist vielmehr, daß das Rundfunksystem in seiner Gesamtheit dem verfassungsrechtlich Gebotenen im Rahmen des Möglichen entspricht“. Felix Kurz