„Die Leute haben sich alle verarscht gefühlt“

■ Eine Region wehrt sich gegen die Pläne des Fischer–Ministeriums, im hessischen Grebenau eine Sondermüllverbrennungs– und Klärschlammdeponie bauen zu lassen / Akzeptanz der Bevölkerung „gleich Null“ / Standortplanung über die Köpfe der Betroffenen hinweg

Von K.–P. Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Hans Bodin, Vorsitzender des „Bürgervereins“ in Grebenau im hessischen Vogelsbergkreis, sieht rot, wenn er den Namen Joschka Fischer (Die Grünen) hört. Das liegt allerdings weniger daran, daß Bodin selbst ein „Roter“ ist, denn in Grebenau seien „Rote, Grüne, Schwarze und Blaue“ gleichermaßen „empört“ über Pläne des hessischen Umweltministeriums, in Grebenau–Wallerdorf eine zweite hessische Sondermüllverbrennungsanlage und/oder eine Klärschlammdeponie bauen zu lassen. Doch das Haus Fischer, so der Minister in diversen Presseerklärungen, habe sich mitnichten bereits für einen Standort entschieden. Zur Zeit, so Fischer, würden lediglich „Standort–Voruntersuchungen“ durchgeführt werden, in denen - neben Grebenau, Borken und Wölfersheim (Wetterau) - auch noch andere „mögliche Standorte“ nach „allen nur denkbaren Kriterien“ auf ihre Eignung hin untersucht würden. Akzeptanz gleich Null Mit dieser ministeriellen Stellungnahme wollten sich die Grebenauer Anfang Oktober jedoch nicht zufrieden geben. Der „Bürgerverein“ knallte Fischers Staatssekretär Karl Kerschgens am 16. Oktober Listen mit rund 2.000 Unterschriften auf den Tisch, die dem Umweltminister signalisieren sollten, daß er „Grebenau nicht länger mit seinen Giftmüll–Verbrennungsplänen belästigen“ dürfe, denn die Akzeptanz der Bevölkerung für eine solche Anlage sei dort „gleich Null“. Doch Kerschgens, so Bodin und seine Mitstreiter Sarah und Rolf Kissel übereinstimmend, habe die rund 50 Bürgerinitiativler, die sich aus dem Vogelsberg nach Wiesbaden bemüht hatten, mit dem Hinweis, daß ihn Unterschriftenlisten nur bedingt interessierten, schlicht „abgebügelt“. Bodin: „Unterschriftenlisten, so Kerschgens wörtlich, seien emotional determiniert und von daher in der Sache wenig hilfreich.“ Diese Darstellung wies Joschka Fischers Pressesprecher Georg Dick gegenüber der taz empört zurück. Weit über zwei Stunden habe man im Ministerium mit den Betroffenen gesprochen. Daß es an den vorab ausgewählten Orten, an denen Standortuntersuchungen vorgenommen würden, zu „Problemen“ kommen werde, sei dem Ministerium durchaus bewußt gewesen. Dick: „Aber wie anders kann in diesem Fall Regierungshandeln aussehen?“ Dick erklärte definitiv, daß die Bürgerinnen und Bürger selbstverständlich voll in die Standortplanung integriert würden, dann, wenn die Voruntersuchungen abgeschlossen seien. So zogen die ihrerseits empörten Vogelsberger mit ihren Unterschriften wieder ab, nicht ohne die von Joschka Fischer immer wieder als notwendig betonte „Akzeptanz der Bevölkerung“ und die angestrebte „öffentliche Diskussion mit allen gesellschaftlichen Kräften“ jetzt als „scheinheilige Beschwichtigungstaktik“ zu geißeln. Auf ihrer Seite wissen die Grebenauer dabei die auf Platz 1 der Grünen–Hessenliste zur Bundestagswahl kandidierende Gertrud Schilling, die im Vogelsberg zuhause ist. Gegenüber der taz erklärte sie, „daß wir die SPD damals allegemacht hätten, wenn die sich gegenüber Bürgern so verhalten hätte“. Entgegen den Absprachen über eine „Bürgerbeteiligung von Anfang an“, habe das Haus Fischer den Fehler begangen, das „Abteilungsleiterbürschlein“ Baas vor Ort das Ter rain sondieren zu lassen. Besagter Baas, den Fischer von seinem Amtsvorgänger Armin Clauss übernommen hat, habe sich in Grebenau „völlig unsensibel“ lediglich mit den führenden Kommunalpolitikern über das geplante Projekt verständigt. Dem Gemeindeparlament von Grebenau gehören zehn SPD– und fünf CDU–Abgeordnete an. Unseriöse „Landnahme“ Daß Grebenau als Standort bereits „ausgedeutet“ worden sei, davon gehen die Mitglieder des „Bürgervereins“ allemal aus. Nicht umsonst habe der SPD–Bürgermeister Wilfried Rosenkranz (45) - nach den Gesprächen mit Baas - bereits im Juni einen Maßnahmen– und Forderungskatalog für den Fall erstellt, daß das 3.000–Seelen Städtchen im „lieblichen Gründchen“ den „Zu schlag“ erhalten sollte. So soll die hessische Landesregierung - sozusagen als „Ausgleich“ - den Grebenauern den Bau zahlreicher kommunaler Projekte finanzieren, angefangen vom Neubau des Kanalsystems bis hin zum Ausbau des Fernwärmebezugsnetzes. Darüber hinaus müsse das Land der Gemeinde Gewerbesteuereinnahmegarantien gewährleisten, Ortsdurchfahrten ausbauen und eine eigene Landstraße zum „Objekt“ voll finanzieren. Goldene Zeiten für eine Kleingemeinde in einer strukturschwachen Region. Daß Bürgermeister Rosenkranz der Gemeinde - so ganz „nebenbei und im Vorfeld der Diskussion“ (Bodin) - bereits die Vorkaufsrechte für den benötigten „Grund und Boden“ gesichert hat, wertet der „Bürgerverein“ als weiteres Indiz dafür, daß die Standortwahl im Grunde schon entschieden sei. Doch der „deal“ mit dem Vorkaufsrecht wird dem Bürgermeister möglicherweise noch zu schaffen machen, denn Rosenkranz habe den Bauern mit dem Hinweis auf den notwendigen Bau einer „umweltrelevanten Maßnahme“ - im Gespräch waren eine Klär– und eine Kompostierungsanlage - ihr Land „abgeschwatzt“. Das sei eine „arglistige Täuschung“ gewesen, meinte Bodin. Inzwischen hat die BI das Frankfurter Anwaltsbüro Hofferbert/Koch eingeschaltet, um die Vorkaufsverträge juristisch anfechten zu lassen. Die meisten Bauern - „und auch die anderen Menschen in Grebenau“ - hätten sich „verarscht“ gefühlt, als im Sommer die wahren Hintergründe für die Vorkaufverträge ans Licht gekommen seien. Grebenau zwischen Müll und NATO Joschka Fischer wird es schwer haben, in Grebenau die von ihm gewünschte „breite Akzeptanz“ herstellen zu können, falls sich der Ort - nach den Voruntersuchungen - dann tatsächlich als der geeignetste Standort erweisen sollte. Gertrud Schilling ist schon jetzt der Überzeugung, daß es die Bürger „fast geschafft“ hätten, sich mit ihrem Widerstand zumindest die Sondermüll–Verbrennungsanlage „vom Hals“ zu halten; anders sehe das noch in Sachen Industrieklärschlammdeponie aus. Doch auch die wollen die Grebenauer nicht haben. Die Verbundgemeinde Grebenau, der mehrere kleine Käffer angehören, ist nämlich auch als Standort für ein NATO–Lager in der „alliierten Planung“. Ohnehin, so Gertrud Schilling, sei der Vogelsberg mit Militäreinrichtungen überlastet. Auch die Landesregierung habe Bundesverteidigungsminister Wörner „unmißverständlich“ klar gemacht, daß sie die Einrichtung weiterer militärischer Anlagen auf hessischem Boden „nicht dulden“ werde. Die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur rund um den „Rotzberg“ stehe denn auch schon lange ganz obenan, im „Wunschkatalog“ der NATO, meinte Schilling weiter. Sollte jetzt in der direkten Nachbarschaft eine Industrieklärschlammdeponie gebaut werden - mit dem dazugehörigen Neubau von Straßen -, würden sich „die Amis“ die Hände reiben. Schilling: „Die 30 Hektar Wald, die die noch brauchen, sind dann auch schnell gefällt.“ Gerade die Grünen, so Gertrud Schilling, müßten sich doch „freuen“, wenn die Bevölkerung - wie in Grebenau - den Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Infrastruktur durchschaut habe. Für den „Bürgerverein“ erklärte Hans Bodin denn auch definitiv: „Wir wollen hier weder eine Giftmüllverbrennungsanlage, noch eine Industrieklärschlammdeponie; und ein weiteres NATO–Lager, das wollen wir schon gar nicht.“ Daß die Bürger von Grebenau möglicherweise tatsächlich schon „gesiegt“ haben, legte Joschka Fischer am vergangenen Montag indirekt offen. Zwar sei Grebenau als Standort für eine Sondermüllverbrennungsanlage „noch nicht aus der Diskussion“, doch favorisiere er jetzt den Standort Borken. Fischers „Traum“ von einem integrierten Abfallzentrum, das sowohl eine Verbrennungsanlage als auch das Pilotprojekt Hochsicherheitsdeponie - alles eingebunden in ein Forschungs– und Entwicklungszentrum - „beherbergen“ soll, läßt sich eben an einem Standort mit vorhandener „Industriebranche“ leichter verwirklichen, als im idyllisch gelegenen Grebenau.