Am OLG herrscht Grünenthal

■ Am Oberlandesgericht Köln wurde die Klage eines Contergangeschädigten gegen die Firma Grünenthal verhandelt / Es geht um 100 Millionen DM ausstehende Entschädigung / Verteidiger: „Ein Justizskandal“

Aus Köln Oliver Tolmein

Das Hohe Gericht kam zu spät, der Verhandlungssaal war angesichts der zahlreich erschienenen Öffentlichkeit zu klein - kein guter Anfang für den Prozeß, den der contergangeschädigte Jurastudent Andreas Meyer gegen den Hersteller dieses Schlafmittels, die Firma Grünenthal, angestrengt hat. Kein unerwarteter Anfang aber auch der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Köln am Mittwoch - denn Andreas Meyers Versuch nachzuweisen, daß die Firma Grünenthal die Con tergangeschädigten um eine Entschädigungssumme von 100 Mio. Mark betrogen hat, ist noch nirgendwo auf dem Weg durch die Instanzen bundesdeutscher Rechtsprechung auf Gegenliebe gestoßen: seine Anträge auf Prozeßkostenhilfe wurden wegen „geringer Aussicht auf Erfolg“ abgewiesen. Das Strafverfahren gegen die Firma Grünenthal wurde 1971 wegen Geringfügigkeit eingestellt - obwohl erwiesen war, daß das Schlafmittel Contergan den Tod von mehreren tausend Kindern kurz vor der Geburt oder in den ersten Wochen danach sowie erhebliche körperliche Schädigungen bei etwa 3.000 weiteren Kindern verursacht hatte. Ein zivilrechtliches Verfahren wurde mit einem Vergleich abgeschlossen, nach dem die Firma Grünenthal den Geschädigten insgesamt einhundert Millionen Mark zahlen sollte. In den folgenden Monaten wurde auf Initiative des Bundesjustizministeriums mit Unterstützung der Firma Grünenthal ein „Hilfswerks für das behinderte Kind“ gegründet, das den Contergangeschädigten lebenslang Renten ausbezahlen soll. Über die Kapitalausstattung dieses Hilfswerks wird jetzt prozessiert: die Streitfrage dabei ist, ob die hundert Millionen Mark zivilrechtlich zugesicherter Entschädigungssumme der einzige Beitrag von Grünenthal für diese Stiftung sein sollte, oder ob die Firma nicht vielmehr, wie Meyer meint, die Gründung dieser Stiftung nur möglich gemacht hat, weil sie versprochen hatte, weitere hundert Millionen Mark einzubezahlen, dies aber durch geschickte Formulierung des Versprechens faktisch nie einlöste. Für die Contergangeschädigten ist die Frage, ob die Stiftung rechtmäßig ins Leben gerufen wurde oder nur durch Vortäuschung einer Garantie deswegen wichtig, weil in Paragraph 23 des Stiftungsgesetzes geregelt wurde, daß mit Einrichtung der Stiftung sämtliche Ansprüche der Contergangeschädigten abgegolten sind. Angesichts der erheblichen, Anfang der siebziger Jahre nicht absehbaren Folgeschäden, wären die Conterganopfer damit erheblich schlechter gestellt. Ein Mißstand, der zusätzlich dadurch verschärft wird, daß es der Firma Grünenthal seit ihrem Einstieg ins Gentechnik–Geschäft ökonomisch bestens geht: Folgeschäden hat sie nicht zu verzeichnen. Und dabei wird es wohl auch bleiben. Denn Dr. Olroth führte die Verhandlung eher so, als sei er Verteidiger der Firma Grünenthal und nicht Vorsitzender Richter. Dr. Dr. Schreiber, dem Verteidiger, blieb nur festzustellen: „Das ist hier ein Justizskandal, in dem sich die Richter der herrschenden Meinung, und das ist die von Grünenthal, völlig unterordnen.“ Urteilsverkündung ist am 10.12.