Hoechster Glückskauf?

■ Das amerikanische Abenteuer des Frankfurter Chemie–Konzerns ist ein teures Vergnügen / Celanese–Übernahme: „Torschlußpanik“ oder „weise Voraussicht“

Von Georgia Tornow

Eine Fusion der Superlative soll stattfinden: der deutsche Chemie– Riese Hoechst - bisher vierter auf der Weltrangliste des einschlägigen Gewerbes - hat die Übernahme des US–Konzerns Celanese Corp. angekündigt. Celanese wird von Experten als „einer der größten Chemiefaserhersteller der westlichen Welt“ mit Aktivitäten in verschiedenen europäischen Ländern, Kanada und Japan gehandelt, also auch kein Benjamin der Branche. Mit dieser Übernahme könnte die Hoechst–Gruppe sich das Etikett „größter Chemie–Konzern der Welt“ anheften. Nach einem bis zum 3. Dezember geltenden Kaufangebot an die Celanese–Aktionäre, das mit 245 Dollar pro Aktie gute 25 Dollar über dem Börsenkurs liegt, dürfte da nichts mehr schiefgehen. Bei dieser Transaktion ist dann auch die Kaufsumme gigantisch: für eine 100 Mrd. Dollar = 5,7 Mrd. Märker den Besitzer wechseln, das sicher massivste Engagement einer deutschen Firma in den USA. Die großen Chemie– und Pharmakonzerne gehören zur Gruppe der weltweit operierenden Multis, die Auslandsumsätze liegen weit über den inländischen, Produktionsstätten und Beteiligungen haben sie rund um den Globus. Letztlich entscheidet sich die Zugehörigkeit zu dieser Weltklasse aber an der Gretchenfrage nach der Stellung auf dem größten kapitalistischen Binnenmarkt USA. Während die Nachkriegs–Expansion der IG Farben Nachfolger BASF, Bayer und Hoechst zwar nicht im Gleichschritt der alten unheiligen Allianz aber ansonsten doch beinahe synchron verlief, war das US–Engagement außerordentlich ungleichgewichtig. Nachdem die BASF 1985 für eine Mrd. Dollar die Inmont Corp. und dann auch noch American Enka sowie (gemunkelt wird: die besseren) Teile von Celanese erworben hatte, gehörte ihre amerikanische Tochter ebenso wie vorher bereits die Bayer–Niederlassung zum Club der zehn größten US–Chemiefirmen. Gegenüber dem letztjährigen vier Mrd. Dollar US–Umsatz bei Bayer und den für dieses Jahr geschätzten 3,5 Mrd. Dollar bei der BASF nehmen sich die aus dem Altbestand der American Hoechst Corp. für 1986 erwarteten 1,7 Mrd. Dollar tatsächlich mickrig aus. Dabei hatte Hoechst bereits 1980 mit viel Tamtam ein ureigenes Projekt vorgestellt. Aber die petrochemische Großanalyse im texanischen Bayport erwies sich als Flop. Zumindest ein Teilverkauf war angesagt. Bei diesem Geschäft, das dann für den Käufer Hunsman Chemical Corp. mit Sicherheit günstiger war als für Hoechst, zeigt sich ein grundsätzliches Dilemma der Branche: die lange Planungs– und Vorlaufzeit. Im Schnitt wird mit sieben Jahren gerechnet. Im Fall Bayport/Texas mußten in der Aufbauphase die Talfahrt der US–Konjunktur am Ende der Carter–Administration und zwei Ölpreiskrisen mit ver daut werden. Sich direkt in den Markt einzukaufen, ist da die leichtere Übung, zumal wenn die Finanzierung kein Problem ist. Für die Celanese–Übernahme ist Hoechst gut ausgestattet: 1985, im Umsatzrekord–Jahr der deutschen Chemie–Industrie, wies die Hoechst–Bilanz 1,2 Mrd. Mark flüssige Mittel aus; das Jammern über Umsatzrückgänge für 1986 (von 12 gleichzeitigen Verbilligung des Dollars um 40 um zwei Drittel eher albern; da Kleinvieh auch Mist macht, wird bei dem um 4,7 86er Geschäft besonders auf den niedrigen Aufwand für Altersversorgung und Vorruhestand hingewiesen. Bei diesem Polster bestand die einzige Schwierigkeit darin, das geeignete Objekt zu finden. Bereits im März hatte American Hoechst die Devise ausgegeben: „Wir wollen mit dem erwünschten Geschäftsbereich nicht allzuviele unerwünschte erwerben.“ Mit Celanese ist auf jeden Fall ein durchsanierter Konzern gefunden. In den letzten drei Jahren wurde der Personalstand von 30.000 drastisch auf 18.500 Mitarbeiter reduziert und auf kleinere Betriebseinheiten umgestellt. Wieweit auch das Produktionsprogramm von Celanese in die Hoechster Pläne paßt, muß sich zeigen. Jedenfalls ist die Ausweitung ihrer US–Basis den Frankfurtern einiges Wert gewesen. Experten rechnen vor, daß hier ein teurer Umsatz–Zukauf stattgefunden hat: Pro Dollar Celanese–Umsatz wurde ein Dollar Kaufpreis bezahlt - eine ungewöhnliche Parität. Zwei Deutungen für die Hoechst–Aktion sind im Angebot: Angst, den Anschluß auf dem US– Markt zu verpassen, sprich: „Torschlußpanik“ oder aber „weise Voraussicht“ angesichts stärker werdender protektionistischer Tendenzen in den USA. Vielleicht stimmt ja beides und die Hoechst– Rechnung geht immer auf. Ein Fleißkärtchen und/oder einen Poker–Preis hat sich aber auf jeden Fall das Celanese–Management verdient: vor allem durch eigene Rückkäufe haben sie erreicht, daß der Kurs von 70 Dollar pro Aktie 1984 in den letzten Jahren stetig gestiegen ist. Und just in dem Moment, wo sich die Kritik an einer Politik des Kaufens statt Investierens mehrte, konnten sie ihren Aktionären einen Käufer mit phantastischem Angebot vorstellen. Im amerikanischen Management ist es üblich, auch selber Aktienbesitz an der Firma zu halten. Congratulations & Happy Bermudas.