Friedfertig in allen Lagern

Alle waren gekommen am Mittwoch abend, aber auch wirklich alle: Fundamentalisten, Realpolitikerinnen, grüne Basis, Autonome, grüne Funktionäre, Betroffene, Interessierte und politische Kleinstgruppen. Noch einmal ging es in der Frankfurter Fachhochschule am Nibelungenplatz um die Großdemonstration am Samstag. Wer jedoch gedacht oder gehofft hatte, daß die Redner und Rednerinnen Perspektiven des Widerstands gegen die Atomfabriken diskutieren würden, sah sich getäuscht. Die Veranstaltung erging sich vorwiegend im seit Monaten gehabten Hickhack zwischen denjenigen, die ein Bündnis, ein breites und ein ganz breites Bündnis aller Atomkraftgegner bevorzugen. Der Konflikt biß sich vor allem an der Person des hessischen Umweltministers Fischer fest, der linksaußen auf dem Podium saß. Mit ihm stellten sich der Diskussion der ÖTV–Gewerkschafter Gerold Schaub, Angela Schmidt von den „Frauen gegen Atomkraft“, Radikalökologe Werner Wenz, der die Hanauer Demonstration mit vorbereitet hatte und Wolfgang Daniels, bayerischer Bundestagskandidat der Grünen. Daß der Streit sich fortschleppte, wer denn nun die legitimen Vertreter des Widerstandes und somit - so ein Autonomer - „die echten Kernkraftgegner“ seien, klang gegen Ende jedes Redebeitrags absurd. Denn alle betonten unisono: „Wir wollen eine große, massenhafte, friedliche Demonstration.“ Der Konsens reichte trotz aller Streiterei unübersehbar quer durch die Bürgerinitiativen „vor Ort“, durch die grünen Schattierungen und die Autonomen. Diese allerdings bangten um die Identität der Atomkraftgegner. Ob es denn nötig sei, der vielbeschworenen Arbeiterklasse „erst eine Rente auszuzusetzen“, damit sie sich auf eine Demonstration bequeme, fragte einer in Richtung des Gewerkschafters Schaub. Der hatte vorher darauf bestanden, daß bei einer Stillegung der Hanauer Atomfabriken die dortigen Arbeitnehmer materiell abgesichert werden müßten. Ansonsten mußte Umweltminister Fischer immer wieder - mit einer gehörigen Portion Autoritätsfixiertheit konfrontiert - als Sündenbock herhalten. Werner Wenz warf ihm vor, daß er jetzt seit elf Monaten im Amt sei, „und die Dinger“, die Atomkraftwerke, „laufen immer noch“. Fischer setzte im Gegenzug darauf, daß dem „Betonblock“ des Kapitals und der Atomkraftbefürworter nur beizukommen sei, indem er mit seinen eigenen Ansprüchen juristisch konfrontiert werde. Die Herrschenden hätten gegen ihre eigenen Spielregeln verstoßen. Die Betriebsgenehmigung, die „jede Reinigung an der Ecke“ brauche, habe es für die Nuklearbetriebe nie gegeben. Dies sei erst offensichtlich geworden, als die Grünen im Umweltministerium Einblick in einem „winzigen Teil“ der Akten nahmen. Und auf dieser Ebene wolle Fischer sein „Termitenwerk von innen weiter fortführen“. Die Bürgerinitiativler mochten dem jedoch nicht trauen. Sie mutmaßten unter anderem, daß die Koalition in Wiesbaden für Landtagsfraktion und Grünen–Minister „mittlerweile Selbstzweck“ geworden sei, daß das Beharren auf Rechtspositionen von grüner Seite nur die Gefahr der Atomkraft verschleiere: „Selbst mit Genehmigung finden wir die Hanauer Atombetriebe ein Unrecht.“ Angesichts des offenen Mißtrauens gegeneinander beschwor der Radikalökologe Wenz dennoch den „breiten Konsens“. Dem stimmte auch der bayerische Grüne Daniels zu. In Wackersdorf sei er von Autonomen verprügelt worden, als er sie an gewaltsamen Widerstandsformen hindern wollte. „Das“, sagte Daniels lakonisch, „also das fand ich keinen guten Stil“. Heide Platen