Zarte Versuchungen zur heißen Wahl

■ Hamburger GAL startet mit Frauenliste ein bisher einmaliges Experiment / SPD bangt um absolute Mehrheit

Standort Hamburg: Welchen Weg nimmt das SPD–Unternehmen an der Elbe? Standortfragen werden bei Wahlen nicht nur durch Standfestigkeit entschieden. Die grün–alternative GAL hat ein politisches Kunststück vollbracht. Sie lockt mit dem beeindruckenden Konzept einer reinen Frauenliste und dokumentiert damit Dynamik und Offensive, statt der apparateneigenen Lethargie. Programmatisch hat sie sich hingegen für eine hochgehängte Bedingungspolitik gegenüber der SPD entschieden. Die hat nicht nur das Bayer SPD–Innensenator Pawelczyk in den letzten Wochen des Wahlkampfes drohende Punktverluste an die CDU wettzumachen versucht. Und doch wird nicht mehr nur von der Großen Koalition gemunkelt, denn die FDP wird ihr Schattendasein wohl weiterhin fristen. Aus Hamburg berichten vier Männer.

In einem Fernsehspot sieht Bürgermeister Klaus von Dohnanyi auf einem großdimensionierten Plakat mit verschränkten Armen auf Gutsherrenart seine Stadtkinder an. Nachdenklich betrachtet ihn die GAL–Bürgerschaftskandidatin auf Platz 4 und Initiatorin der Frauenlisten, Adrienne Goehler und fragt voll sanfter Tücke: „Glauben Sie nicht auch, daß Frauen und Männer anders sind?“ Im praktischen Wahlkampf auf der Straße und in den Hamburger Stadtteilen spielt das bisher einmalige Partei–Experiment, in ein bundesrepublikanisches Länderparlament nur Frauen zu entsenden, allerdings eine eher untergeordnete Rolle. Die Bedeutung der Frauenliste fand hauptsächlich in der Presse ihren Niederschlag. Noch am Montag vor der Wahl schürte der Spiegel in einem mehrseitigen Artikel Männerängste. Hamburgs kulturpolitische Szene, jene vielleicht 200.000 Menschen (bei 1,25 Millionen Wahlberechtigten zur Bürgerschaft) aus hartem GAL–Kern und vor allem zwischen linker SPD und GAL Schwankenden hat sich mit der Frauenliste längst abgefunden. Dabei hatten zu Wahlkampfbeginn alle Angst vor der Frauenliste. Angefangen von weiten Teilen der GAL bis hin zur SPD und in Randbezirke der CDU hinein erscholl der Ruf: „Die schrecklichen GAL–Weiber kommen, wir müssen etwas unternehmen.“ Der SPD bescherte das nicht zuletzt eine heftige innerparteiliche Kontroverse um die Quotierung, die damit endete, daß sich tatsächlich mehr Frauen auf den Listenplätzen wiederfanden. Die CDU fühlte sich bemüßigt, sich zumindest verbal der Frauen anzunehmen. Am heftigsten tobte die Kontroverse in der GAL selbst. Dabei saßen die Männer, die die Frauenliste ablehnten, in der Falle. Verängstigt vom Konsens, in jedem Fall betroffen und frauenfreundlich zu sein, spielten sie auf den Mitgliederversammlungen die Softies, zogen aber am Biertisch desto heftiger vom Leder. Ergebnis: Eine harte Minderheit von 20 Prozent diskutierte auf den Mitgliederversammlungen überhaupt nicht mehr, sondern stimmte nurmehr stur dagegen. Andere wiederum sahen in der Frauenliste einen geheimen Putsch, die traditionelle GAL– Erbhofverwaltung zugunsten einer realpolitisch orientierten Linie aufzubrechen. In dieser Blockierung, die zudem mit so ziemlich sämtlichen GAL–Tabus belastet war, führten die eigentlich politischen Debatten die Kandidatinnen der Frauenliste. Dabei zeigte sich, daß es sich um keine sanften Wesen aus den Tiefen verträumter Weiblichkeit handelte, sondern um gestandene Politikerinnen, die mindestens ebenso gut holzen konnten wie Männer. Immerhin gelang es der Frauenliste, mit der neuen Fraktion ein Spektrum von GAL–Vielfalt herzustellen, das in Fachgruppen und anderen GAL–Gremien zunehmend auf sektiererische K– Gruppen–Mentalität herabzusinken drohte. Das sahen rechtzeitig auch einige GAL–Männer. Ausgerechnet zwei von ihnen, die in der Vergangenheit manch drastisches Wort für die grünen Frauentabus fanden und parteiintern als „Oberchauvis“ abgehandelt wurden, sahen sich plötzlich in der Rolle eines männlichen Motors für die Frauenliste. Die Hamburger Öffentlichkeit bekam von diesem monatelangen, sich hart an der Paralysierungsgrenze abspielenden Streit zum Glück nicht viel mit. Als die neue Frauenfraktion stand, lief der Wahlkampf schon auf vollen Touren, und erste Umfrageergebnisse bedeuteten SPD und CDU recht eindeutig, daß mit einem sexistischen Wahlkampf (“Seht euch doch die verrückten Weiber an“) kein Blumentopf zu gewinnen war. Die Männer zeigten vor allen in den traditionellen Kernwählerschichten von Arbeitern und öffentlichen Angestellten Verwirrung und Angst, die jedoch nicht in aggressive Ablehnung umschlug. Die Frauen sympathisierten mit einer reinen Frauenliste weit über den harten Kern der GAL–Wähler hinaus - allerdings ohne sich für grüne Politik erwärmen zu können. SPD, CDU und FDP bereiteten der Frauenliste statt dessen einen kleinen Vorgeschmack von dem, was sie im Landesparlament erwartet. Neben den üblichen Vorwürfen, das Industriesystem zerstören zu wollen, wurde auch über die Kandidatinnen das innenpolitische Klima weiter angeheizt. Darauf reagierten die beiden Spitzenkandidatinnen, Christina Kukielka und Thea Bock, gewohnt GAL–spezifisch. Zum Vorwurf der Gewaltakzeptanz meinte Frau Kukielka kühl, ihr würden ein paar eingeworfene Fensterscheiben nichts ausmachen. In einer Fernsehdiskussion steuerte Thea Bock dann geschickt gegen. Mit einer persönlichen Erklärung stellte sie kategorisch fest, daß für sie als Grüne nach wie vor das Prinzip der absoluten Gewaltfreiheit gelte. Die Denunziation ebbte ein wenig ab. Aber auch die Frage nach dem Verhältnis zur SPD birgt nach wie vor „galischen Sprengstoff“ in sich. Christina Kukielka vertritt hier unbeirrt die Haltung einer knappen Mitgliederversammlungsmehrheit zur Tolerierungsfrage. In einem Tolerierungskatalog wurden die Forderungen so hoch gehängt, daß dem SPD–Tanker praktisch nur bleibt, GAL–Politik zu machen. Thea Bock dagegen war Mit–Autorin eines Alternativentwurfs, der SPD und GAL Spielräume für gemeinsame und vor allem eigenständige Politik ließ. Bei allen Differenzen wollen die neuen Hamburger „Realoparlamentarierinnen“ eins auf keinen Fall: eine Koalition mit der SPD wie in Hessen. Tom Janssen