P O R T R A I T „Ich werde die Mauer zerstören“

■ Der Amerikaner John Runnings, in Berlin als „Mauerspringer“ bekannt, wird wieder aktiv

Von seinem winzigen Hotelzimmer im vierten Stock des „Stuttgarter Hofs“ zeigt John Runnings auf die Berliner Mauer und einen DDR–Wachturm. „I am going to break the wall“, droht er. Sechsmal hat der 69jährige, weißhaarige Amerikaner die innerstädtische Grenze schon attackiert, sein siebter Versuch steht kurz bevor: Mit einem großen Hammer will John Runnings Löcher in das Bauwerk schlagen. Und wenn die DDR–Posten schießen? „Dann bin ich eben tot.“ Der frühere Bautischler aus Seattle im US–Staat Washington haßt alle Grenzen. Er ist schon so häufig bei illegalen Grenz–Überschreitungen in aller Welt festgenommen worden, daß er gar nicht mehr weiß, wie oft er deswegen im Gefängnis gesessen hat. Richtig spannend wurde es für den Grenzgänger allerdings erst, als er Anfang dieses Jahres zuhause einen Fernsehfilm über die Mauer sah. „Ich war wie elektrisiert“. Er flog nach Berlin und verkündete: „Ich werde die Mauer in ein Mittel für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit verwandeln“. Seine erste Mauer–Attacke ging jedoch ziemlich daneben. Bei einem groß angekündigten internationalen „pee in“ - einem Mauer–Pinkeln - war der Veranstalter der einzige Teilnehmer. DDR–Soldaten schoben den „Grenzverletzer“ ein paar Meter in den Westteil der Stadt zurück. Dann ging es Schlag auf Schlag weiter: Runnings kletterte mit Leitern in den Ostsektor, veranstaltete medienwirksame Spaziergänge auf der Mauerkrone und schlug mit einem schweren Hammer auf das Bauwerk ein. Die DDR–Behörden, die den seltsamen Demonstranten mehrfach festnahmen, waren ganz offensichtlich ratlos: Sie verhörten ihn, um ihn immer wieder nach West–Berlin abzuschieben. Runnings erinnert sich, wie er mit seinen Vernehmern über Frieden und Abrüstung diskutierte: „Die waren von meinen Vorschlägen sehr beeindruckt und fragten mich, warum ich nicht Staatsbürger der DDR werden will.“ Ende Oktober rannte der Amerikaner über den Checkpoint Charlie nach Ost–Berlin und hoffte dieses Mal auf den ganz großen Erfolg: Er wollte durchsetzen, daß ihn die DDR–Behörden nicht nach West–Berlin, sondern in seine Heimatstadt Seattle abschieben. Daraus wurde nichts. Mit Hilfe amerikanischer Diplomaten, denen der hartnäckige Landsmann schon längst auf die Nerven geht, wurde Runnings am vergangenen Freitag nach Gießen verfrachtet. Kaum dort angekommen, kletterte der 69jährige in den nächsten Zug nach West–Berlin. „Du machst einen Fehler“, schimpfte ein verärgerter US–Diplomat. „Ich habe schon viele Fehler gemacht“, gab Runnings kühl zurück. Dieter Stäcker