„Die Wähler sind klug; die Wähler sind klug“

■ Champagner und „spitze Schreie“ bei der CDU / Auch die GAL ließ Korken im Hamburger Rathaus knallen / Die FDP gab sich bedrückter am kalten Buffet / Und schließlich Grabesstille vor vollen Bierkästen im Kurt–Schumacher–Haus der SPD

Aus Hamburg Ute Scheub

Bevor die Hochrechnungen über wuselnde Wahlhelfer, wartende Journaille–Pulks und Politiker hereinbrachen, war am Wahlaben Holstein eingenistet. Großen Augs stand das drängelnde Wahlvolk davor und bestaunte jene Hamburger Mischung aus High Tech und knochenalten Traditionen. Eine Mischung, die der aristokratische Sozialdemokrat Dohnanyi mit seinem Einsatz für die Neuen Medien ermöglicht und erneuert hat. Denn das sind eigentlich die wahren Hamburger Verhältnisse: Seit Kriegsende haben sozialdemokratische Bürgermeister, Max Brauer, Herbert Weichmann und zuletzt Klaus v. Dohnanyi, mit absoluten SPD–Mehrheiten die Stadt wie Patriarchen regiert und den über 3.000 traditionellen und neureichen Hamburger Millionären an der Elbchaussee wie anderswo ein gutes Auskommen garantiert. Als sich herausstellte, daß diese wahren Hamburger Verhältnisse nunmehr zum zweiten Mal von wahlarithmetischen Hamburger Verhältnissen gestört werden, brach Tumult vor den Monitoren im Rathaus aus. Die Junge Garde der CDU, die Wahlhelferlein– Truppe des Dohnanyi–Herausforderers Hartmut Perschau in den adretten weißen Anzügen der Jungen Union, stieß spitze Schreie aus und ließ die Champagnerkorken durch die Luft sausen. Auch bei der GAL lagen sich alle in den Armen, Sekt floß in Strömen. Frühere erklärte Gegner einer reinen Frauenliste knutschten die glücklichen Kandi datinnen ab. Verklärten Blicks schwebte Thomas Ebermann durch die Gänge des kalten Büffetts: „Der Wähler ist klug, der Wähler ist klug“ Und wo bleiben die klugen Wählerinnen? Trotz Frauenliste noch nix gelernt, wa? die k.. Martin Schmidt, GAL– Kandidat im Bezirk Altona, konnte es noch weniger fassen: 40 Prozent für ihn am Punk–Treffpunkt Ottenser Spritzenplatz, dort, wo noch vor kurzem bei der Brokdorf–Tag–X–Demo eine Sparkassen–Filiale in Flammen aufging. Und GAL–Spitzenkandidatin Christina Kukielka, die aus Solidarität mit einer Gruppe hungerstreikender Flüchtlinge bis einen Tag vor der Wahl mitgefastet hatte, vergaß alle Müdigkeit und strahlte. Keinen Schritt konnten die Kandidatinnen tun, ohne von Fotografen und Journalisten umlagert zu werden - vom Stadtteilblättchen bis zu einer australischen Zeitung wollten alle über das „historische Ereignis Frauenliste“ berichten. Freude über das eigene Abschneiden, Entsetzen über die vielen Stimmen für die Grünen auf der Wahlfeier in der CDU–Zentrale am Leinpfad. Auch hier hielten die jungen Schicki–Mickis vom „Perschau–Team“ nicht mit ihren Gefühlen hinterm Bauch. Die GAL, „das ist natürlich beschissen“, hieß es unhanseatisch direkt. Im FDP–Treff „Cappuccino“ war die Stimmung naturgemäß gedrückter. Es muß schon ärgerlich sein, sich nun zum dritten Mal hintereinander sich in der Fünf–Prozent– Hürde zu verheddern und sich auf dem kalten Hamburger Pflaster die Nase aufzuhauen. „Das Büffett bleibt kalt bis zur Neuwahl“, kommentierte ein Alt–Liberaler mit dünnen Hoffnungen. Eine gruselige Grabesruhe, als sei das Massaker zwischen Rechten und Linken zur Austragung der Verantwortlichkeit für die Niederlage schon gelaufen, herrscht ab 22.30 Uhr im Kurt–Schumacher–Haus der SPD. Etwa zwanzig einsame Gestalten standen noch vor den vollen Bierkästen - nicht einmal besaufen wollten sich die Sozis. Ein alkoholisierter Juso fürchtete, wegen des Aufrufs einer seiner Genossen zur Stimmabgabe für die GAL zur Rechenschaft gezogen zu werden. „Gibts hier überhaupt noch Jusos?“, fragte ein anderer sarkastisch zurück. Noch gruseliger war in dieser Wahlnacht einzig der Anblick der beiden FAP–Kandidaten, die stocksteif, in vollem neofaschistischen Wichs, auf ihrem Beobachtungsplatz im Plenarsaal der Bürgerschaft saßen.