Polarisierung

■ Die SPD und das Hamburger Desaster

Vielleicht gewinnt die SPD durch die Hamburg–Wahl doch etwas, nämlich den Mitleidsbonus. Erbarmen ergreift einen, wenn Rau nach langem Brüten erklärt, die SPD müsse „noch mehr um Menschen werben.“ Noch mehr! Nicht Wähler - Menschen schlechthin. Dagegen war der expressionistische Stoßseufzer „O Mensch“ fast schon eiskalte Taktik. In Wahrheit schwimmt die SPD hilflos in einem sich beschleunigenden Polarisierungsprozeß der deutschen Bevölkerung, der ungenügend mit der Alternative zwischen rot/grüner Koalition oder CDU–Herrschaft benannt werden kann: radikale Reform oder innere Ordnung, Änderung oder Stabilisierung des Systems ist auf die Tagesordnung gesetzt. Die SPD hat sich mit der verquasten protestantischen Wahlkampfstrategie Raus aus dieser Polarisierung herausmogeln wollen. Tatsächlich hat sie aber mit ihrer Abgrenzungsstrategie gegenüber den Grünen diesen Prozeß nur befördert und zurecht Spott verdient, insbesondere in Hamburg. Rau hat geradezu die Grünen über ihren eigenen erstarrten Streit hinweggeholfen und auf Erfolgskurs gebracht. Wenn jetzt in der Hamburger SPD auf Große Koalition gesetzt wird, kann man das für die Grünen nur wünschen. Damit wäre endgültig ihr Verbleiben im Bundestag gesichert. Eine CDU/SPD–Firma würde aus dem „Versöhnen statt Spalten“ ein „Kungeln statt Kämpfen“ machen. Die Bundestagswahl ist für die SPD verspielt; es fragt sich aber, ob sie weiterhin Zeit verspielen will, ob sie um des Macht– und Ämtererhalts willen den Anspruch auf politische Gestaltung aufgibt. Die SPD hat auf ihrem Nürnberger Parteitag eine politische Willenserklärung zur radikalen Reform abgegeben. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Hamburg hat gezeigt, daß die politische Durchsetzung, nicht das Was, sondern das Wie von Atomkraftausstieg bis zur Abrüstung auf der Tagesordnung steht. Konkret für Hamburg heißt das: Akzeptiert die SPD die verschärften Hamburger Verhältnisse oder flüchtet sie sich in die Umarmung mit der CDU? Klaus Hartung