„Wir müssen überlegen, was wir da produzieren“

Berlin (taz) - Zehn Tage nach dem Brand beim Basler Chemiekonzern Sandoz besteht über das Ausmaß der Katastrophe noch wenig Klarheit. Während der SPD– Vorsitzende Willy Brandt am Sonntag das Wort vom „Bhopal am Rhein“ in die Diskussion brachte, weisen Zyniker darauf hin, daß es doch schließlich vernünftiger sei, das Gift werde in den Ländern verteilt, die auch für ihre Produktion verantwortlich sind, als später in den Exportländern der Dritten Welt versprüht. Die Menge der Gifte, die bei dem Brand mit dem Löschwasser in den Rhein gelangt ist, wird auf mindestens 30 Tonnen Pestizide geschätzt, darunter vor allem sogenannte Phosphorsäure–Ester und in geringer Menge Quecksilber–Verbinduungen. Der mit den Untersuchungen befaßte Basler Kantonschemiker Schüppbach über diese Stoffe: „Das sind Insektengifte, die sich aber nicht nur gegen Insekten richten, sondern verheerend giftig in den ganzen biologischen Zusammenhängen wirken. Und deshalb sollten wir an diesem Ereignis aufwachen und überlegen, was wir da eigentlich für Stoffe produzieren.“ Auf die Frage, wieviele tausend Tonnen dieser und ähnlicher Stoffe in den Giftküchen entlang dem Rhein produziert werden, war bisher keine Antwort zu bekommen. Oberflächlich betrachtet, hat sich der Giftschub in einem 70 km langen Teppich verdünnt, der am Sonntag die Niederlande erreicht hat. Doch wieviel dieser Gifte lagert sich im Sediment ab, wieviel gelangt über das Uferfiltrat ins Trinkwasser? Das Basler Amt für Umweltschutz hat am Wochenende in Schlammproben aus dem Rhein Insektizidrückstände nachgewiesen, und der rheinland–pfälzische Umweltminister Töpfer warnte bereits davor, daß das Gift in die Trinkwasserbrunnen gelangen könnte, wenn das Uferfiltrat in 50 Tagen „ankommt“. Dennoch gehen auch die kritischen Wissenschaftler davon aus, daß die Trinkwasser–Bedrohung nicht die eigentliche Gefahr des Unfalls am Rhein sei. Schüppbach: „Der Großteil der Gifte wird sicherlich ins Meer gespült. Er wird dort noch einigen Schaden anrichten und dann langsam abge baut werden. Die Messungen, die mir aus dem Rhein in Deutschland bekannt sind, halte ich für nicht so dramatisch. Das Hauptproblem ist doch, daß das ganze Leben im Rhein vergiftet wurde, daß ein ganzes Ökosystem zerstört wurde. Das ist das eigentlich Verheerende.“ Im Vergleich zur täglichen Handhabe mit Agrochemikalien, von denen allein in der BRD jährlich 30.000 Tonnen versprüht werden, bezeichnet Schüppbach das Risiko durch das vergiftete Rhein–Wasser als vergleichsweise gering für die Menschen. Dieselben Gifte, nach denen jetzt mit großem Aufwand überall gefahndet werde, gelangten sonst ganz legal und durch tägliche Praxis in großen Mengen auf die Äcker und über die Niederschläge auch ins Grund– und Trinkwasser. Im Ökosystem Rhein sind einmal die Mikro–Organismen, dann das Kleingetier und schließlich Fische und Pflanzen geschädigt. Dazu Birgit Grahl vom Freiburger Öko–Institut: „Die Mikro–Organismen, also Bakterien und Algen, haben einen schnellen Regenerationszyklus und können sich durch die Einschwemmung und die Rhein–Zuläufe rasch wieder ansiedeln. Wasserflöhe, Insektenlarven und andere Kleinlebewesen werden schon sehr viel länger brauchen. Als letzte in der Nahrungskette sind die Fische besonders betroffen. Die Fisch–Sachverständigen erwarten, daß z.B. der Aalbestand erst in acht Jahren wieder regeneriert sein dürfte. Das sind langfristige Schäden für die Fisch–Population. Die Informationen sind aber gegenwärtig noch viel zu dünn, um abschätzen zu können wann der Rhein wieder lebensfähig sein wird.“ Unter den Fischen, die im Rhein leben, sind vor allem die Aale durch die Sandoz–Fracht getötet worden. Dies ist zum einen ein Indiz dafür, daß sich das schadstoffhaltige Wasser nicht gleichmäßig verteilt, sondern am Grund des Flusses, wo bekanntlich die Aale leben, angereichert hat. Aber es gibt noch einen anderen Grund für das Massen–Sterben gerade der Aale. Birgit Grahl: „Die Phosphorsäure–Ester sind starke Nervengifte, und deswegen ist es ganz verständlich, daß die Aale besonders betroffen sind. Denn die Aale haben ja auf der Haut sehr viele Nervenzellen. Die Gifte bewirken dann eine Dauer–Erregung des Organismus, der dann in einer tödlichen Lähmung endet.“ Manfred Kriener