Basel–Gift wurde illegal gelagert

■ In Bonn rührt sich nur die Ausschußmaschinerie / Wallmann prüft Regreßansprüche / Grüne fordern Entgiftungskommission / Landesregierung Baden–Württemberg will Regreßansprüche einfordern

Aus Bonn Oliver Tolmein

Es werden noch viele tote Fische den Rhein hinuntergeschwemmt werden, ehe in Bonn mehr als nur betroffene Worte fehlen. Vor der Bundespressekonferenz beschränkte sich Umweltminister Walter Wallmann gestern darauf, anzukündigen, welche Gespräche er in den nächsten Tagen mit der Chemischen Industrie und seinem Schweizer Minister–Kollegen führen wird. Überraschend war Wallmanns Hinweis, daß die giftigen Agrochemikalien illegal von Sandoz auf dem Werksgelände gelagert wurden. Für die Entschädigungsfrage, so Wallmann, über die zwischen Umwelt– und Justizministerium verhandelt werde, sei das von erheblicher Bedeutung. Die baden–württembergische Landesregierung hat unterdessen angekündigt, auf jeden Fall Regreßansprüche gegen den Schweizer Chemikeonzern stellen zu wollen. Während die zweite Giftwelle, zehn Kilometer lang und 15 Meter breit, auf die Bundeshauptstadt zuschwappte, tagte dort gestern unter Vorsitz des grünen Umweltministers Joschka Fischer die Rheinschutzkommission - konkrete Ergebnisse lagen allerdings bei Redaktionsschluß noch nicht vor. Heute tritt in Bonn auf Antrag von Grünen und CDU zudem der Umweltausschuß des Bundestages zu einer Sondersitzung zusammen. Der Kurs der Parteien ist relativ klar: Während SPD und FDP die Überprüfung aller Chemikalienlager entlang des Rheins fordern, die SPD darüber hinaus die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung heftig angreift, fordern bisher allein die Grünen eine Überprüfung der Zulassung aller Pestizide, die Gründung einer Entgiftungskommission und ein sofortiges Produktions– und Lagerungsverbot aller nicht in der BRD zugelassenen Pestizide. Von der zweiten aus dem Basler Sandoz–Chemiewerk in den Rhein geflossenen Giftwelle, die am Montag mittag Rastatt passierte, erwarten die Umweltschutzbehörden in Baden–Württemberg „keine nennenswerte Mehrverschmutzung“ des Flusses. Indessen ergaben Analysen der ersten Giftwelle in den Niederlanden einen erheblich höheren Schadstoffgehalt als angenommen. Bei der ersten Giftwelle in den Niederlanden wurden am Sonntag mittag die höchsten Giftwerte gemessen. Bei Lobith hat nach Angaben aus Den Haag vom Montag die Konzentration von Insektiziden das Sechsfache und der Quecksilbergehalt das Dreifache der Normalwerte betragen. Ein Fischsterben wurde hier bisher nicht beobachtet. Während die Giftwelle langsam Richtung Nordsee schwabbert, überschlagen sich die Aktivitäten der Parteien und Ministerien, die gestern eine ungeahnte Flut von Kommissionen und Initiativen ankündigten. Die Umweltverbände kritisierten diesen „oberflächlichen Aktionismus“, der lediglich die eigene Hilflosigkeit und das Versagen der Verantwortlichen überdecken solle. Eine deutsch–französisch– schweizerische Expertenkommission soll sich mit dem Brand bei Sandoz befassen. Am Nachmittag tagte die nationale Rheinschutzkommission. In Stuttgart wollten Mitglieder der Kantonsregierung Basel mit der Regierung Baden–Württembergs zusammenkommen. Die Umweltminister der Rhein–Anliegerstaaten sowie Vertreter der EG–Kommission werden sich am Mittwoch treffen. NRW–Umweltminister Klaus Matthiesen (SPD) berichtete in Düsseldorf, er habe in einer „Sonderaktion der Gewerbeauf sicht“ die Behörden angewiesen, alle Lager– und Produktionsstätten von gefährlichen Stoffen in Gewässernähe auf ihre Sicherheitsstandards hin zu überprüfen. Matthiesen warf Umweltminister Wallmann vor, die Rheinkatastrophe verschlafen zu haben und erst am 7. November „mit einem riesigen Fragenkatalog“ vorstellig geworden zu sein. Auch der saarländische Umweltminister Jo Leinen hat Bundesumweltminister Wallmann völliges Versagen vorgeworfen.