SPD–Desaster: Rau schwafelt

■ Nach Hamburger Wahl: SPD sucht neue Strategie CDU/CSU: Große Koalition / GAL erwartet Angebote

Von Klaus Hartung

Berlin (taz) - Einen Tag nach der Hamburger Wahl wird das Nachrichtenbild vom vielstimmigen Chor aus dem sozialdemokratischen Desaster beherrscht. Die bedeutsamste Sprechblase stammt vom SPD–Spitzenkandidaten Rau. Nachdem er sich in der Wahlnacht vor der Öffentlichkeit abgeschlossen hatte, stellte er am Montag das Ergebnis seines Nachdenkens vor: die SPD müsse nach dieser Niederlage „noch mehr um Menschen werben.“ Der fälligen Kritik an der sozialdemokratischen Wahlkampfstrategie versuchte er mit dem Hinweis zuvorzukommen, er habe bisher mehr über Wähler als über Strategien nachgedacht. Tatsächlich wird die Wahlkampfstrategie - mit Ausnahme von Raus NRW–Fraktionsvorsitzenden Farthmann - praktisch von allen SPD–Prominenten infrage gestellt. Schon Brandt hatte am Wahlabend nicht mehr von dem Ziel der absoluten Mehrheit geredet. Hans Jochen Vogel sprach am Montag noch deutlicher davon, daß es jetzt darum gehe, die „Übermacht“ der CDU zu bekämpfen. Glotz und Brandt kündigten eine „neue Strategie“ an. Darüber sollen am Montag abend Parteipräsidium und -vorstand entscheiden. Gegen die Option für eine Große Koalition von seiten des Wahlverlierers von Dohnanyi gab es scharfen Einspruch durch die Bundes–SPD. Glotz verwarf diese Möglichkeit und machte deutlich, daß er Neuwahlen nach dem 25. Januar vorziehen würde. Auch Hans Jochen Vogel erklärte, es sei „inhaltlich falsch“, jetzt notfalls eine Koalition mit der CDU zu bilden. Lafontaine plädierte indirekt für ein rot–grünes Zusammengehen, indem er an die Grünen appellierte, die Verantwortung zu übernehmen. Ebenso indirekt kritisierte er die Politik der Hamburger SPD: sie hätte klarere Aussagen über Umweltschutz und Atomenergie machen müssen. Fortsetzung auf Seite 2 Berichte und Kommentare auf Seiten 4 und 5 Am schärfsten äußerte sich der niedersächsische SPD–Fraktionsvorsitzende Gerhard Schröder. Er meinte, seine Hamburger Genos sen hätten die Quittung für „ein Kungeln mit Konservativen im Wahlkampf“ erhalten. Die Hamburger Genossen, so Schröder, hätten sich beim Thema „innere Sicherheit“ nicht von der CDU unterschieden. Schröder grundsätzlich: das Streben der Bundes–SPD hätte sie „verrammelt“. Mit Rau und seinem Programm gebe es jetzt nur eine fatale Linie: „Augen zu und durch“. Im CDU/CSU Lager wird nach dem christdemokratischen Erfolg Stimmung für eine Große Koalition gemacht: vehement durch die CSU, eher verhalten durch Kohl. Der Kanzler hält es eher für wahrscheinlich, daß erst nach der Bundestagswahl die Entscheidung für eine Koalition fallen wird. Der Hamburger Spitzenkandidat Perschau setzt jedoch voll auf Koalition. Er hat, um die Verhandlungen nicht vorzubelasten, zunächst einmal auf den Anspruch, erster Bürgermeister zu werden, verzichtet. Von Hamburger SPD– Prominenz, allen voran von Dohnanyi und Innensenator Pawelcyk, wird die Große Koalition offen angestrebt. Allein der Fraktionsvorsitzende Vorscherau distanzierte sich von dieser Option. Inzwischen gibt es in Hamburg einen kuriosen Dialog um „Millimeter“. Von Dohnanyi will der GAL nicht einen Millimeter entgegenkommen, während die GAL, laut grünem Bundesvorstandssprecher Rainer Trampert, nicht einen Millimeter von ihren Tolerierungsbedingungen abweichen will. Trampert zufolge ist das Tolerierungspaket „nicht verhandelbar“. Die Forderungen vom sofortigen Ausstieg aus der Atomwirtschaft bis hin zum Niederlassungsrecht für Flüchtlinge und Einwanderer seien nicht kompromißfähig, weil „sie lebensnotwendig und sozial bedeutsam“ seien. Gleichwohl hat die GAL offenbar nicht nur formal Verhandlungen angeboten: Während die neue Abgeordnete Ulla Jelpke die Große Koalition als „gut für die GAL“ empfindet (“dann sind wir die einzige Opposition“), erklärte Thea Bock, daß man selbst von Dohnanyi inkauf nehmen würde, wenn die SPD ihre Politik ändere. Grundtenor der GAL: SPD–Angebote abwarten. Auch von der SPD–Linken liegen Erklärungen vor: die Hamburger Jusos fordern den Rücktritt von Dohnanyi und Pawelcyk und erklären, sie würden eine Große Koalition bekämpfen. Der Juso– Vorsitzende Herrmann meinte dazu in einem Gespräch mit der taz, daß er hoffe, die GAL werde sich nicht darauf beschränken, nur die SPD anzuklagen und zu entlarven. Vielmehr wünsche er sich, die GAL würde mit konkreten Forderungen den Linienstreit innerhalb der SPD beeinflussen. Ohnehin ist der Streit innerhalb der Hamburger SPD ausgebrochen. Parteilinker Hajen sieht nur die rot–grüne Perspektive und Landesvorsitzender Runde nennt die Große Koalition „undemokratisch“. Die Bundesgrünen heben zwei Gesichtspunkte hervor. Einerseits werde durch das Wahlergebnis der grüne Trend bestätigt; andererseits wird betont, daß der Wahlerfolg Ergebnis der konsequenten Frauenpolitik sei. Laut Regina Michalik, Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen, habe Hamburg bestätigt, daß „Frauen kompetent sind in allen Bereichen der Politik und es verstehen, diese Politik auch an die Bürgerinnen und Bürger zu bringen“. Nebenbei kritisierte sie die Grünen Männer: sie würden das Ergebnis bejubeln, aber den „ wesentlichen Beitrag der Frauenliste herunterspielen“. Parteien Bürgerschafts– Wahl 86 ProzentSitze Bürgerschafts– Wahl 82 ProzentSitze Bundestags– Wahl 83 Prozent CDU 41,9 38,6 37,6 % SPD 41,8 51,3 47,4 % GAL 10,4 6,8 8,2 % FDP 4,8 2,6 6,3 %