Sandoz–Manager tauchen unter dünne Ausreden

■ Versicherung prognostizierte vor fünf Jahren Umweltkatastrophe Ausweichende Antworten der Konzernleitung auf Fragen von Grünen–MdB

Aus Basel Thomas Scheuer

Sandoz gab sich umfreundlich: An jeder roten Ampel stellten die Chauffeure brav die Motoren der - selbstverständlich mit Katalysatoren ausgerüsteten - Mercedes–Limousinen ab, in denen die Konzernleitung den Grünen MdB Willi Tatge und den Fraktionsmitarbeiter Hans–Werner Mackwitz zur Besichtigung des Unglückswerkes kutschieren ließ. Dort erwarteten Mitglieder des Sandoz– Managements die beiden Gäste aus Bonn. Den beiden war per Radio die Kunde von jenem brisanten Papier vorausgeeilt, das sie den Sandoz–Leuten unter die Nase reiben wollten: Ein Dossier, in dem die „Zürich–Versicherungsgesellschaft“ bereits 1981 das Inferno vom 1. November und seine verheerenden Folgen für den Rhein detailliert vorwegbeschrieb. Niemand ist verantwortlich Die vorgewarnten Sandoz– Herren wollten die Existenz des Papieres nicht ausdrücklich bestreiten, aber auch nicht bestätigen. Ihre Antwort deckte sich mit jener auf die Frage nach der immer noch unbekannten Brandursache: „Wir suchen noch.“ Auf Nachbohren die Ankündigung: „Wir werden eine Antwort dazu noch liefern.“ Bei der Zürich–Versicherung war zu erfahren, daß die Erstellung solcher Expertisen üblich sei zur Abschätzung des Risikos für die Versicherung; sie würden normalerweise aber nicht den Kunden vorgelegt. Über den heiklen Inhalt müssen die Verantwortlichen Sandoz–Manager jedoch in jedem Fall im Bilde gewesen sein. Denn die Studie wurde auf der Basis einer Betriebsbesichtigung und von Interviews mit leitenden Sandoz– Leuten erstellt, also aufgrund von Informationen aus dem Konzern selbst. Als Auskunftspersonen seitens Sandoz werden im Schriftstück konkret aufgelistet: Der Leiter Stabsstelle Projektsicherheit, der Leiter Sicherheitsdienst Schweiz, der Leiter Sicherheitsdienst Werk Basel und der Leiter Betriebssicherheit und Umweltschutz. Antwort auf die Frage nach diesen damals Verantwortlichen: Sie seien zwischenzeitlich „alle tot oder pensioniert.“ Image–Kartell Recht lebendig geht es dagegen an der Unglückstelle zu, die die beiden Grünen vor dem Gespräch hinter verschlossenen Türen besichtigen konnten: Kräne bergen einzeln die angekokelten Gift– Fässer, deren Inhalt umgefüllt wird. Wie werden sie entsorgt? Das hänge von den Analysen ab; die müsse man erst abwarten - eine Antwort, die gebetsmühlenartig immer wiederkehrt. Für heikle Fälle stehe notfalls der Spezial–Ofen des Nachbarn Ciba– Geigy zur Verfügung, durch dessen Kamin seinerzeit auch die 40 Dioxin–Fässer aus Seveso der Firma Hoffmann–La Roche gejagt worden waren. Die Konkurrenten halten zusammen, wenn es um das gemeinsame Image der Branche geht. Alle vor Ort Beschäftigten tragen Gasmasken oder gar Schutzanzüge im Weltraumlook. Neben der Halle wird ein 90 Meter tiefes Loch gebohrt, um das Grundwasser überwachen zu können. Der Brandort ist mit einem drei Backsteine hohen Mäuerchen umgeben worden, damit - z.B. nach Regenfällen - nicht wieder verseuchtes Wasser in den Rhein fließen kann. Den vorgestern vermeldeten Vorwurf von Bundesumweltminister Wallmann, in der Halle 956 seien Stoffe illegal gelagert gewesen, weist Sandoz energisch zurück. Man könne die arbeitsrechtliche Bewilligung zur Lagerung der Stoffe vorweisen. „Wie aber sieht es in punkto Gewässerschutz aus?“, setzen die grünen Fachleute nach. Da fallen die Antworten ausweichender aus: Schon möglich, daß sich zwischenzeitlich die Rechtslage geändert habe. Auf die Haftungsfrage angesprochen, erklären die Sandoz–Leute, sie hätten dem baden–württembergischen Umweltminister Weiser bei seinem Besuch am Vortage keinerlei konkrete Zusagen gemacht. Selbstverständlich decke die Haftpflichtversicherung durch Gerling etwaige Forderungen ab, „soweit wir rechtlich haftbar sind.“ Direkt nach dem Unglück hatte Sandoz–Verwaltungsratspräsident Marc Moret eiligst klargestellt, den Konzern treffe kein „qualifiziertes Verschulden“. Keine Sorge bei der Entsorgung Wie es um ein Umdenken in Richtung sanfte Chemie stehe, wollen die Grünen wissen. Drüber werde „mit Bestimmtheit“ nachgedacht. Aber: „Was die Geschäftsleitung dann letztendlich entscheidet, können wir heute noch nicht sagen.“ In der Diskussion wird ein interessantes Detail bekannt: Die 12 Tonnen Ethoxyethyl–Quecksilberhydroxid, jene organischen Quecksilberverbindungen, die das eigentliche Langzeitproblem für den Rhein darstellen, waren nicht für die Produktion bestimmt. Das hochgiftige flüssige Fungizid wurde jahrelang in die Dritte Welt exportiert - bis es in den meisten Ländern verboten und ein Restbestand in Halle 956 zwischengelagert wurde. Lange, so ein Sandoz– Mann, habe man sich bei allen möglichen Sondermülldeponien um die Entsorgung bemüht - vergeblich. Just am Tage vor dem Unglück wurde per Telex bei einer auf die Entsorgung von Quecksilberverbindungen spezialisierten Firma in Spanien nachgefragt. Am Montag tickerte ein zweites Telex hinterher: Das Problem hatte sich erübrigt. Ein Schlaglicht auf den Normalbetrieb der Branche wirft auch Kantonschemiker Dr. Strauß: Angesichts des immensen Potentials der Chemieindustrie seien die Behörden mit ihren apparativen und personellen Möglichkeiten zu einer effektiven Kontrolle gar nicht in der Lage; sie seien vielmehr auf die vertrauensvolle Kooperation seitens der Konzerne angewiesen. Im Übrigen, so der Beamte, lägen bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften - wenn auch in geringeren Mengen - die Agrochemikalien in völlig ungeschützten Holzschuppen herum. Auf der Rückfahrt in die Stadt bleibt der Motor an den Ampeln an.