I N T E R V I E W Mit ökonomischen Hebeln gegen Umweltsünder

■ Interview mit dem Professor für Geologie an der Moskauer Lomonossow - Universität und Umweltexperten Dr. Wjatscheslaw Ponowalenko Moskau (dpa/taz) - Am Dienstag schlugen sowjetische Wissenschaftler Alarm: Die Verseuchung des bei Leningrad gelegenen Ladoga–Sees durch Industrieabwässer, Gülle und Chemikalien aus der Landwirtschaft sei inzwischen so dramatisch geworden, daß die Trinkwasserversorgung von Leningrad bedroht ist. Mitte Oktober sei zwar die am See gelegene Zellstoff–Fabrik Priosjorsk geshlossen worden, doch seien „unumkehrbare Schäden“ entstanden, heißt es in dem Bericht. Die 1931 gebaute Fabrik habe keine Kläranlage gehabt und über Jahre hinweg Millionen von Kubikmetern Abwässer direkt in den See geleitet. Vor 20 Jahren habe man Pläne für den Bau von Kläranlagen ausgearbeitet, in der Praxis sei aber nichts geschehen. Die taz sprach mit einem hochrangigen und kritischen Umweltexperten.

taz: In der UdSSR scheint sich ähnlich wie bei uns kaum jemand um die Gesetze zu scheren. Die Umweltverschmutzung jedenfalls nimmt zu, die Skandale häufen sich. Ponowalenko: Es gibt in der Sowjetunion sehr strenge Umweltgesetze, die strenger sind als in anderen Ländern der Welt. Das ist auch durch westliche Experten anerkannt. Wir haben eine Liste von 600 einzelnen Schadstoff–Komponenten, was die Untersuchung des Wassers betrifft und über 300 für die Luft. Wir verheimlichen nicht, daß in vierhundert Städten die gesetzlichen Werte überschritten sind. Ein großer Teil der Industriebetriebe ist veraltet. Deshalb sind wir nicht in der Lage, sofort alle Maßnahmen durchzusetzen, die für den Umweltschutz notwendig sind. Es gibt eigentlich nur zwei Wege, aus dieser Situation herauszukommen. Der erste Weg ist der einer Technologie mit wenig Abfall. Alle Komponenten sollten noch einmal verarbeitet werden. Dieser optimale Anspruch würde auch bedeuten, daß wir die meisten Betriebe neu bauen müßten. Heutzutage sind wir aber noch nicht in der Lage, unsere Fabriken mit dieser neuen Technologie auszurüsten. Der zweite Weg aber ist vielleicht etwas einfacher, weil er darauf abzielt, die Auswirkungen der Produktion auf die Natur abzumildern. Dieser Weg ist auch billiger. Ab 1. Januar 1987 wird es in einigen Betrieben Selbstverwaltung geben und dann müssen natürlich sie die Strafen bezahlen, und das kann dann diese Betriebe empfindlich treffen. So ist dann zum ersten Mal die Möglichkeit gegeben, das Problem von der ökonomischen Seite anzugehen. Nun müßte es gerade in einer staatlich gelenkten Wirtschaftsordnung möglich sein, die Beachtung der gesetzlichen Vorschriften zu erzwingen. Warum klappt das nicht? Es ist nicht selten der Fall, daß die Umweltschutzanlagen so teuer sind wie der Betrieb selbst. Es gibt Fälle, daß Ministerien zu sparen versuchen. Sie kennen die Geschichte vom Baikalsee. Die haben dort Papierkombinate erbaut, die ohne Kläranlagen den See extrem verschmutzten. Es kam zu Protesten der Bevölkerung aus der Umgebung des Sees aber auch aus der gesamten Sowjetunion. Denn der Baikalsee ist ein Symbol für die Sowjetmenschen. Da gibt es noch eine Geschichte dazu. Filmemacher drehten am See, machten Aufnahmen von den toten Fischen und dem Schaum auf dem Wasser. Die Verantwortlichen haben versucht, die Filmarbeiten zu behindern und haben auch manchmal die Filmer erwischt und Filme vernichtet. Doch der Film konnte zu Ende gedreht werden und wurde dann auch in verschiedenen Institutionen gezeigt. Die Filme hatten Erfolg: Es wurde ein strenges Gesetz erlassen, so daß die Verantwortlichen gezwungen waren zu reagieren. Die Umleitung sibirischer Flüsse hat im Westen Kritik ausgelöst. Jetzt ist in der UdSSR entschieden worden, diese Flußumleitungen nicht durchzuziehen. Bedeutet dieser Vorgang ein grundsätzliches Umdenken in der UdSSR? Das Projekt existierte schon seit 30 Jahren. Über viele Jahre wurden Untersuchungen angestellt. Ich arbeitete über fünf Jahre mit einer Wissenschaftlergruppe zusammen, die immer gegen dieses Projekt war.Dieses System war als ein „offenes „ geplant. Was passiert dabei? Das Wasser wird in Kanälen transportiert mit dem Effekt, daß ein Teil versickert und ein anderer Teil verdunstet. Wie soll man aber das Wasserproblem nun in Mittelasien lösen? Experten beschäftigen sich nun damit. Ich kann jetzt nicht über alle Vorschläge sprechen, weil jetzt noch keine Ergebnisse vorliegen. Aber man könnte sich doch vorstellen, daß ein Rohrsystem da Möglichkeiten bringt. Ein Rohrsystem, das jede einzelne Pflanze bewässert. Es gibt da auch Experimente. Israel hat ja da schon Erfahrungen. Aber dies wird sehr teuer werden. Das Neue ist, daß jetzt die Menschen hier in diesem Land bereit sind, auch höhere Kosten für solche Projekte in Kauf zu nehmen. Es gibt noch andere Projekte, die das zeigen. Ich möchte dies an einem Beispiel deutlich machen. Es geht um ein Stausystem an der oberen Wolga nördlich von Moskau. Wir wissen noch nicht, wie die Umwelt darunter leiden wird. Wir untersuchen an unserer Fakultät, wie dieses Stausystem auf die Ökologie zurückwirkt. Die Zeitungen bekamen viele Leserbriefe, nachdem die Arbeiten in Gang gesetzt wurden. Diese Protestbiefe wurden an eine Kommission überwiesen, die das Problem zu untersuchen hat. Wenn ich nun zurückkomme, werde ich erfahren, ob nun meine Mitarbeiter und ich arbeitslos geworden sind. Ich habe dieses Beispiel nur erwähnt, um zu zeigen, daß es ein neues Bewußtsein zu Umweltfragen in der UdSSR gibt. Im Westen wurde über Tschernobyl viel diskutiert. Obwohl wir es nicht geschafft haben, den Atomkurs unserer Regierung zu stoppen, verwundert es doch, daß in der Sowjetunion die Regierung noch kein Wort über die Problematik dieser Energieform verloren hat, unbeirrt hält man fest an dem einmal eingeschlagenen Kurs. Gibt es da wenigstens unter Wissenschaftlern eine Diskussion und wie wird in der Bevölkerung darüber gedacht? Es hat in der Sowjetunion keine größere Diskussion über die Atomkraft stattgefunden. Wir hatten uns daran gewöhnt, daß die Kernenergie für friedliche Zwecke nicht gefährlich ist, und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat diese Frage ganz klar und deutlich gemacht. Zur Zeit können wir nicht auf die Kernenergie verzichten. Wir besitzen keine Alternativen, die anstelle von Kernenergie benutzt werden könnten. Und alle Formen der Energie wie Sonne, Wind, etc, sind zwar sehr schön, sie sind aber nicht effektiv genug. Das wäre auch in der Bundesrepublik nicht möglich. Ich meine , daß die Nutzung der Atomenergie eine Übergangsform ist, und es ist möglich, daß vielleicht Alternativen schon in diesem Jahrhundert greifen. Wir müssen übergehen zu einer ökonomischeren Nutzung der Naturressourcen. Das Gespräch führten Dr. Ulrich Weißenberger (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung - DIW) und Erich Rathfelder (taz)