Apokalyptische Visionen in Pleinfeld

■ In Mittelfranken produzierte eine Firma für Kabelisolierung jahrelang Schwaden von hochgiftigem Phenol / Fehlende Genehmigungen durch „schwarze“ Behördenkontakte ersetzt / Erst Strafanzeigen alarmierten die Bezirksregierung

Von Bernd Siegler

Pleinfeld (taz) - „Ich mußte sofort von der Leiter heruntersteigen, sonst wäre ich umgekippt.“ Beim Zwetschgenernten blieb Burghard Scherrmann, Eigenheimbesitzer im mittelfränkischen Pleinfeld, im Herbst die Luft weg. Nicht nur für den 34jährigen Beschäftigten in der Pharmaindustrie heißt seit Jahren die Devise bei Südwestwind „Taktisch Lüften“, denn dann ziehen Phenolschwaden über die Gemeinde mit 3.600 Seelen. So schnell wie der Verursacher, die Firma Roman Hentsch, auch zu ermitteln war, so langsam mahlen die Mühlen der Behörden, um der Giftschleuder ein Ende zu bereiten. Zehn Jahre lang konnte die Herstellerfirma von Elektroisoliermaterial ganz ohne Genehmigung und von 1958 bis heute ohne Abgasreinigung produzieren, ohne daß etwas geschehen ist. „Das Vertrauen in die Behörden“, so der Rechtsbeistand der örtlichen Bürgerinitiative, Dr. Manfred Hofbauer, „ist angeknackst.“ Selbst gestandene CSU–Mitglieder sind entsetzt über den Filz aus Firmenbesitzer, Landratsamt, Gewerbeaufsichtsamt, TÜV und Gemeinde. 1958 startete Roman Hentsch seinen Betrieb. Spätestens mit Inkrafttreten des Bundesimmissionsschutzgesetzes im Jahre 1974 hätte der Betrieb vom Landratsamt genehmigt werden müssen. Zehn Jahre später wird das Verfahren nach Beschwerden der Anwohner über den stechenden Geruch der Abgase eingeleitet. Damals wußten die Bewohner der nahen Wohnsiedlung noch nicht, wie gefährlich Phenol ist, das nach der TA–Luft der Schadstoffklasse I zugeordnet ist. Nicht nur Haut– und Atemwegserkrankungen sind die Folge, sondern auch Blutbild– und Erbgutveränderung und mit großer Wahrscheinlichkeit Krebs. In Pleinfeld, das fanden die Betroffenen schnell heraus, wurden die Phenolwerte der TA–Luft um das Zehnfache überschritten. Selbst der TÜV, der sich nicht einmal die Mühe machte, vor Ort die Emissionen zu messen, errechnete 1984 aus den vom Firmeninhaber übermittelten Daten der verarbeiteten Stoffe Erschreckendes. Während die Werte für Testbenzin, Xylol und Methyl–Glykol–Acetat (Schadstoffklasse II bzw. III) gerade noch unterhalb der Grenzwerte der TA–Luft lagen, überstiegen die Phenolwerte die amtlichen Höchstwerte um das 15fache. Das schlichte Fazit des TÜV: „Der Betrieb in der bestehenden Form ist in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht nicht genehmigungsfähig“, hatte jedoch keine Konsequenzen. Im Gegenteil. In Kenntnis des Gutachtens genehmigt das zuständige Landratsamt Weißenburg–Gunzenhausen im Februar 1986 die zehn Jahre zuvor erfolgte unerlaubte Errichtung der Endloslackierung von Kabeln nachträglich. „Für den Gesamtbetrieb liegt bisher weder eine Genehmigung nach der Gewerbeordnung noch nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz vor“, stellt Sachbearbeiter Geyer lapidar fest und empfiehlt dem Firmeninhaber, einen höheren Kamin zu bauen. Ab 1. August 1986 solle man dann auf phenol– und kresolhaltige Lacke verzichten. Doch Roman Hentsch wußte, daß er sich auf seine Spezis im Landratsamt verlassen kann. Problemlos erhält er Fristaufschub. Bewegung kommt in die Angelegenheit erst, als die betroffenen Bürger „zum letzten Mittel“ greifen, so Rechtsanwalt Hofbauer, und offiziell Anzeige erstatten. Am 29. Oktober werden Kriminalpolizei, das Gewerbeaufsichtsamt, die Landesgewerbeanstalt und die Regierung von Mittelfranken aktiv. Die bisher vorliegenden inoffiziellen Meßergebnisse von diesem Tag bestätigen die schlimmsten Befürchtungen und lösen bei den Anwohnern Jubel aus, denn angesichts der Untätigkeit der Behörden lassen nur Horrorwerte die Erfolgsaussichten steigen. Bei Kohlenwasserstoffen wurden an jenem Tag die Höchstwerte der TA–Luft um den Faktor 60 übertroffen. Die Phenolwerte lagen im Mittel um das 34fache über den Grenzwerten, obwohl dieser inzwischen von 20 mg pro Kubikmeter auf 40 mg erhöht worden war. Mittlerweile hagelt es Strafanzeigen gegen den Betrieb. Die Palette reicht von Körperverletzung über das Betreiben einer Anlage ohne Genehmigung und vorsätzlicher Luftverunreinigung bis zur mangelhaften Entsorgung von hochgiftigen Abfällen. Bis vor drei Jahren soll nämlich der Firmeninhaber nichts in die zuständige Sondermülldeponie gefahren haben, sondern die Kabelabfälle, geschätzt wegen ihres hohen Brennwertes, einfach kartonweise an Nachbarn verschenkt haben. Die dem Landratsamt vorgesetzte Genehmigungsbehörde, die Regierung von Mittelfranken, zeigte sich während der jüngsten Messungen empört über die Untätigkeit des Landratsamts. Nicht einmal Beschwerden bzw. Widersprüche gegen den Genehmigungsbescheid sind weitergeleitet worden. „Die apokalyptischen Visionen“, wie Manfred Hofbauer das nächtliche Bild bezeichnet, wenn die Phenolschwaden durch die Mauerritzen der Firma über das Dach kriechen, sollen nun in Pleinfeld ein Ende haben. Angesichts des nahen Erfolges bleibt den Bürgern eine Erkenntnis: „Wir haben zu lange zugeschaut.“